Buchkritik: Störgeräusch Antisemitismus
Die Emanzipation von Minderheiten hat stets auch viel damit zu tun, wie sie auf dem Theater repräsentiert und dargestellt werden. Und wie sie diese Darstellung irgendwann selbst übernehmen. Anhand der österreichischen Gesellschaft um 1900 spielt das Theresa Eisele in „Theater als ‚Spiel- und Spiegelform‘ jüdischer Erfahrung“ exemplarisch wie fulminant durch.
Manchmal sind es nicht die großen Werke des Kanons, die am wirkungsvollsten eine Gesellschaft spiegeln. Manchmal kann es auch eine Posse sein. Wie im Fall der „Klabriaspartie“, aufgeführt um 1900 in der Wiener Leopoldstadt.
Im Stück treffen sich mehrere arme jüdische Kaffeehausbesucher und spielen Karten. Die Posse lebt von den Charakteren, ihrer Cleveress und ihrem Witz, von Körperkomik und karikaturistischer Zuspitzung. Arthur Schnitzler, regelmäßiger Vorstellungsbesucher, formulierte die Wirkung dieses Unterhaltungsformats bis weit in die gute Gesellschaft so: „Zitate sind entweder aus Faust oder aus der Klabriaspartie“.
Man könnte meinen, Wien um 1900 sei auserzählt – an (Bild-)Bänden und wissenschaftlichen Abhandlungen, die sich mit der „Welt von Gestern“ (so der Titel von Stefan Zweigs prägender Schilderung vom Wien der Jahrhundertwende) mangelt es nicht. Nun beweist Theresa Eiseles im Wallstein Verlag erschienene Abhandlung „Theater als ‚Spiel- und Spiegelform‘ jüdischer Erfahrung. Wien 1890-1920“, dass es doch noch Lücken gibt.