Opernkritik: Apfelschuss aus dem Zauberkasten

Opernkritik: Apfelschuss aus dem Zauberkasten

Guillaume Tell – Antú Romero Nunes inszeniert an der Bayerischen Staatsoper mit Rossini sein erstes Musiktheater

Ach, diese Schweizer: Saturierte Wohlstandsbürger in 60er-Kostümen, steif und umständlich, wie Christoph Marthalers Bühnenfantasien entsprungen, die nicht wissen, wie man das Gewehr richtig hält und erst mal anfangen, dran rumzuputzen, um dann in rockende Männlichkeitsgesten auszubrechen. Ihr Anführer Tell? Ein schlecht gelaunter Pullunderheld, dem seine Frau die Brille aufsetzt, die Krawatte zurechtrückt, die Knarre abnimmt und in der eigenen Handtasche verwahrt – könnte ja noch was passieren.

Schon witzig, was Antú Romero Nunes in seiner Inszenierung von Giacomo Rossinis „Guillaume Tell“ sehr frei nach Schiller an der Bayerischen Staatsoper aus dem revolutionären Alpenvölkchen gemacht hat. Die Schweizer Spießer, das sind natürlich nicht nur die anderen: In der Apfelschuss-Szene treten die Habsburger Truppen mit schwarzweiß verfremdeter EU-Fahne auf, statt Geßlers Hut dient hier ein Stierkopf als Verehrungs-Fetisch. Wem nutzen Revolutionen? Wer greift bei separatistischen Freiheitskämpfen eigentlich zu den Waffen und mit welchem Ziel? Sind Europaskeptiker wie die AfD die Schweizer von heute?

Das geht erstaunlich gut, obwohl Rossinis 1829 in Paris uraufgeführte Gran Opéra (heißt: Schweiz-Folklore und ausufernde Ballette inklusive) Schillers Freiheitsdrama in Sachen Pathos um nichts nachsteht. Statt des Schiller’schen Nebenpaars Berta und Ulrich gibt’s eine standes- und nationenübergreifende Liebesgeschichte zwischen dem Schweizer Arnold und der Habsburgerprinzessin Mathilde – mit reichem, umwerfend schönem Arienertrag. Und aus dem wortkargen Grübler Tell, einem Held umständehalber, wird in der Oper ein Freiheitskämpfer und Anführer, der eloquent für seine Sache wirbt.

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