Opernkritik: Das Raunen in der Isolation

Opernkritik: Das Raunen in der Isolation

Die Luft hier: scharfgeschliffen – Zum Auftakt des Infektion!-Festivals für neues Musiktheater an der Berliner Staatsoper inszeniert Doku-Theatermacher Hans-Werner Kroesinger Hafterfahrungen

Am Ende singt sie doch. Lange, hohe Töne lässt Olivia Stahn gegen die Wand prallen, als wolle sie Glas zerspringen lassen. Wie das gellt und vibriert in den Ohren! Endlich hat man das Gefühl, ein Bild zu bekommen für den Schmerz und die Verzweiflung, die diese „Gefangene“ umtreibt.

Gemeint ist Ulrike Meinhof, jene RAF-Terroristin, die während ihrer Isolationshaft in Köln-Ossendorf der weißen Folter ausgesetzt wurde: 24 Stunden gleißendes Neonlicht. In Briefen an ihre Anwälte beschrieb sie den Verfall ihrer Sinneswahrnehmungen: das Gefühl zu verstummen, Sprachstörungen, komplette Orientierungslosigkeit. Diese Texte hat Komponist Matthias Hermann zum Zentrum seines 1994 uraufgeführten Musiktheaters „Die Luft hier: scharfgeschliffen“ gemacht, mit dem jetzt das Infektion!-Festival für neues Musiktheater an der Berliner Staatsoper eröffnet. Den Hafterfahrungen Meinhofs setzte Hermann Verse des russisch-jüdischen Dichters Ossip Mandelstam entgegen. Mandelstam versuchte, sich gegen die Gleichschaltung der russischen Literatur durch Stalin zu wehren – und starb im Arbeitslager in Sibirien.

Offenbar finden sich auch noch Sätze von Salman Rushdie und Fahimeh Farsaie im Text, während zum Personal noch „drei Frauen“ gehören, die in mehreren Sprachen des ehemaligen Jugoslawien (das während der Komposition gerade zerfiel) Kinderlieder singen, denn: „Wo Zugehörigkeiten und Bezugssysteme zerbrechen, greift man auf ferne, identitätsstiftende Gewissheiten zurück“, weiß das Programm-Faltblatt. Außerdem ein Dschinn, der Silben brabbelt und brummt und so etwas wie das utopische Moment der Veranstaltung sein soll.

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