Konzertkritik: Gewaltige Stimm-Leidenschaften

Konzertkritik: Gewaltige Stimm-Leidenschaften

Anna Netrebko und ihr Mann Yusif Eyvazov begeistern bei ihrem Konzert in der Waldbühne

Die Diva lässt warten. Eine knappe halbe Stunde vergeht, bevor sie auf der Bühne erscheint, in einem langen Kleid, das glitzert wie schwarzes Lametta, einem prachtvollen Collier, offenen, langen, honighellen Haaren. Da hat das Orchester schon begonnen mit der Einleitung zur Cavatine „Vieni, t’affretta“ aus Guiseppe Verdis „Macbeth“. Applaus brandet auf, bevor Anna Netrebko beginnen kann, in düsterem Ton den Text des Macbeth-Briefes vor sich hin zu murmeln. Noch ist nicht eine Note gesungen – und schon ist man mitten drin in der Szene, in der gewaltigen Leidenschaft der Lady, in Machtbesessenheit und Mordlust.

Die Netrebko kann sich den verspäteten Beginn leisten. Sie ist die einzige aktive klassische Sängerin, auf die Begriffe wie Diva und Superstar zutreffen. Auch Menschen, die sonst mit der Oper nichts am Hut haben, kennen ihren Namen, die Boulevardpresse berichtet über ihre neuerdings blondierten Haare und ihre offenbar glückliche Ehe mit Tenor Yusif Eyvazov. Opernvorstellungen mit ihr sind im Nu ausverkauft. In „Macbeth“ etwa könnte man sie in der anbrechenden Spielzeit auch an der Staatsoper erleben, man säße näher dran, müsste sie auch nicht über die Lautsprecher erleben, sondern hätte sie wirklich live.

Die Berliner Waldbühne ist nicht ganz voll besetzt, 15.000 Zuschauer kamen, was vielleicht am Regen lag. Den ganzen Tag über musste man bangen, ob das Konzert eine trockene Angelegenheit wird. Es wurde. Ob’s wirklich am Anzug von Konzertveranstalter Peter Schwenkow lag, in dem er 2006 vor dem Waldbühnen-Konzert mit Anna Netrebko, Plácido Domingo und Rolando Villazón den Regen vertrieben haben will? Mit dieser launigen Anekdote brach er jedenfalls das Eis, noch bevor das Ungarische Staatsopernorchester mit Giuseppe Verdis „Nabucco“-Ouvertüre ahnen ließ, dass hier ein Ensemble begleitet, das mehr kann als sämige Hintergrundmusik. Michelangelo Mazza ist ein erfahrener Verdi-Dirigent. Nicht alles glänzte, in vielem wird er auch den Wünschen seiner Stars gefolgt sein. Aber oft findet er den großen sinfonischen Bogen, Witz, Esprit, ironische Glanzlichter in diesen Klassik-Ohrwürmern – und verführt zum genauen Hinhören.

Auch bei Netrebko ist man sich nie ganz sicher, wie ernst sie all ihre großen Gesten nimmt, mit denen sie ihre Nummern unterstreicht, die Colliergriffe, die erhobenen Arme, die barmenden Hände. Aber ihre Stimme beglaubigt doch, was sie singt. Sie ist enorm, füllt mühelos jedes noch so große Opernhaus. Nach der Pause steht Netrebko plötzlich auf einer Treppe neben Block C und singt – nun im roten Kleid und Glitzerkappe – „In questa reggia“ aus Giacomo Puccinis „Turandot“. Kurz, bevor der Schall aus den Lautsprechern dröhnt, hört man sie unverstärkt, leiser natürlich, aber klar. Das wäre mal ein Experiment – die Netrebko auf der Waldbühne unplugged!

Ein bisschen ist so ein Netrebko-Konzert ja Oper für alle – für alle jedenfalls, die es sich leisten können oder wollen (für die anderen bleibt das ZDF, das das Konzert am 10. September um 22 Uhr ausstrahlt). Die Diva singt ihr Kernrepertoire, Hits von Verdi und Puccini, große Finale, Musik zum Mitschunkeln, Mitklatschen, Mitsummen. Vor diesem Hintergrund muss man es der Sängerin hoch anrechnen, dass sie ihre Musik auch hier ernst nimmt. Immer dann, wenn man ihr das etwas Kehlige, etwas Buttercremige ihrer Stimme übelnehmen will, das ja nicht immer passt, etwa in „O mio babbino caro“ aus „Gianni Schicchi“, kommt wieder so eine mühelose Wendung, ein unvermitteltes Zurücknehmen ins Piano zum Beispiel, unschuldig, rein – und man lauscht hingerissen. Sie verfügt über eine enorme Farbigkeit. Gerade wenn sie sich in der Lautstärke zurücknimmt, schillert ihr Sopran so verführerisch wie ihre Glitzerroben. Und ihre dunkel glühenden Tiefen treffen einen ins Mark.

Man kann es Netrebko nicht verübeln, dass sie so ein Konzert mit ihrem Mann gestalten will. Nur warum konnte sie sich nicht in jemanden wie Jonas Kaufmann verlieben? Yusif Eyvazov bestreitet die Hälfte des Programms, singt im schwarzen Frack und breiter Krawatte die berühmten Tenor-Heldenarien wie „Celeste Aida“, „Nessun dorma“ aus „Turandot“, „E lucevan le stelle“ aus „Tosca“, zudem die Stretta aus dem „Troubadour“. Alle Nummern versieht er mit demselben metallischen, leicht blechernen Timbre, gibt ordentlich Gas. Dass es allerdings nicht nur um strahlende Höchstnoten geht, sondern da noch ein paar Nuancen mehr drinstecken, fällt ihm – zumindest in der Waldbühne – viel zu selten ein. Dazu guckt er betreten oder angestrengt.

Erst bei den Schnulzen, die Igor Krutoy dem Paar für ihr neues Album „Romanza“ geschrieben hat, wirkt er entspannt. Die Ballade „La Fantasia“ klingt, als würde sich die Netrebko um eine Teilnahme beim Eurovision Song Contest bewerben, bei „Cantami“ legt sie zärtlich ihren Kopf auf Eyvazovs Schulter. Ein bisschen viel Schlagsahne ist das, aber immerhin servieren sie sie mit Würde. Am Ende gibt es stehende Ovationen, Fans bewerfen Netrebko mit Blumenbuketts, die sie aufsammelt, glücklich strahlt, winkt. Und dann als Zugabe das „Libiamo“-Trinklied aus „La traviata“ kredenzt, lässig, als hielte sie nicht die Arme voller Sträuße. Für eine echte Diva ein Kinderspiel.