Opernkritik: Etwas aus der Zeit gefallen

Opernkritik: Etwas aus der Zeit gefallen

Harry Kupfer inszeniert Händels „Poros“ an der Komischen Oper mit Tropenhüten, Reisekleidern und indischer Folklore

Am Ende kommen die Gewehre: Als Sir Alexander dem indischen Herrscher Poros großmütig verzeiht und ihn wieder in seine Rechte einsetzt, zelebrieren sie diesen Männerbund mit Drinks und Kisten voller Waffen. Die gehören der britischen East Indian Company, die das Land ausbeutet. Und die Frauen, die sich drei Stunden lang als das starke Geschlecht erwiesen? Sind draußen.

Fulminant bitter gelingen Harry Kupfer diese letzten Minuten seiner Inszenierung von Georg Friedrich Händels „Poros“ von 1731: Während vorne die Männer paktieren, trampeln hinten englische Touristen durch den indischen Tempel. Dann rauscht der Union Jack herab, die britische Flagge.

Kupfer an der Komischen Oper – das ist eine Verneigung vor der 84-jährigen Regielegende. Von 1981 bis 2002 war er hier künstlerischer Leiter, prägte das Haus wie vor ihm nur Gründer Walter Felsenstein, in dessen Tradition des realistischen Musiktheaters er sich immer sah. Kupfer stellt, ganz Brecht-Schüler, seine Inszenierungen in historisch-politische Zusammenhänge, feilt an psychologischen Motivationen und Figurenführung.

So auch in „Poros“. Kupfer erzählt vom zerstörerischen Kolonialismus, der sich hinter der Maske von Aufklärung und Zivilisation verbirgt und verlegt die Handlung ins 19. Jahrhundert. Dafür hat er sich eine von Händels zu Recht selten gespielten Opern ausgesucht. In „Poro, Re dell’Indie“ (so der Originaltitel) geht es um den griechischen König Alexander, der es mit seinen Truppen bis nach Asien schaffte und ganze Völker entweder unterwarf oder zu seinen Verbündeten machte. Allerdings geriet Alexander in Pietro Metastasios Libretto so verflixt gütig und gelassen, dass es kaum auszuhalten ist – und dramatische Spannung erschwert. Drei lange Akte vergehen mit aufgesetzten Eifersüchteleien, bevor Händel so richtig die Gefühlsmaschine anschmeißen kann.

Was bei Metastasio und Händel nur bloße Staffage war – Indien als exotische Kulisse, die für das Fremde an sich stand –, übersetzt Kupfer nun ins Reale. Er gibt den Figuren indische Namen und hat sich von Hans Schavernoch als Podest eine indische Landkarte auf die Bühne stellen lassen. Hinten scheinen Dschungel, Ruinen, Tempel in Videobildern auf, mit denen Thomas Reimer die Tiefe barocker Illusionskulissen zitiert.

Vorne aber sieht es aus, als inszenierte Kupfer eine Mischung aus „Aida“ und „My Fair Lady“, was auch an Yan Tax Kostümen liegt mit Tropenhüten, Reisekleidern und indischer Folklore. Alexanders Gelassenheit ist die eines britischen Offiziers, der die Macht auf seiner Seite und entsprechend nichts zu befürchten hat. Poros und sein Vertrauter Gandharta wiederum sind so nervös, weil ihnen die Macht entgleitet, sie von Anfang an chancenlos sind gegen die militärische Übermacht.

Das ist viel überzeugender als Kupfers jüngste Berliner Inszenierungen, „Fidelio“ und „Macbeth“ an der Staatsoper. Aber dennoch problematisch. Denn um seine Kolonial-Kritik zu erzählen, macht Kupfer aus der barocken Nummernoper voller Gefühlsumschwünge und Intrigen ein stringentes Werk: Susanne Felicitas Wolf hat das Libretto nachgedichtet und die Arien durchgetextet, die eigentlich nur wenige Verse wiederholen. Das macht zwar manchmal die Motivationen der Figuren komplexer, hat aber den Nachteil, dass die Sänger zu den halsbrecherischen Koloraturen auch noch jede Menge Wörter jonglieren müssen. Schlimmer noch: Wolfs Deutsch ist streckenweise enorm unelegant. Außerdem ignoriert dieses Verfahren, dass Barockarien eine eigene Logik der Affekte haben: Man muss kein Wort verstehen, um zu begreifen, welche oft widerstreitenden Gefühle hier toben.

Am Besten gelingt es Eric Jurenas, dieses Gefühlswüten erlebbar zu machen. Sein Countertenor schmiegt sich herrlich in die weiten, ausgeglichenen Gesangslinien des Alexander, grieft knackig die Sprache, geht auch die Koloraturen ziemlich lässig an. Und Ruzan Mantashyan, die als Poros Geliebte ein sehr angenehmes Timbre in der Mittellage besitzt und in den Spitzentönen gleißend helle Akzente setzt – ihr jugendlicher Sopran ist ein Versprechen. Wie auch Idunnu Münchs Mezzo, der voller Farben schimmert, für Händel aber doch eine Spur zu schwer, zu erdig wirkt. Noch stärker fällt das bei Poros ins Gewicht, den Händel eigentlich als Tenor komponiert hat – Dominik Köningers Bariton, ideal für Pelléas und Orfeo, klingt hier oft etwas grob.

Dass die Sache musikalisch nur selten richtig Fahrt aufnimmt, liegt auch an Jörg Hubalek, der das um einige Originalinstrumente ergänzte Orchester der Komischen Oper äußerst gezügelt durch die Partitur führt. Da blühen zwar herrliche Momente auf, wenn etwa die Querflöte schluchzt oder sich gerade im vierten Akt die Harmonien faszinierend reiben. Aber nie geht Halubek in die Extreme. Händel-Fans sollten sich an der Komischen Oper eher an „Xerxes“ oder „Semele“ halten. Kupfer-Fans aber bekommen hier einen Abend, der zwar etwas aus der Zeit gefallen wirkt, für Momente aber die Lebensleistung dieses Regisseurs aufscheinen lässt.