Opernkritik: Rätselhafte Gesten eines Opernchors
Barrie Kosky inszeniert “ Mondnacht“ an der Komischen Oper
Warum winken die Menschen auf der Bühne? Ist’s ein Willkommen nach all den Wochen ohne Theater? Oder ein Abschied? Immer wieder heben die Chorsolisten die Arme, fahren sanft mit der Hand durch die Luft. Und weil wir uns hier auf hochromantischem Gebiet bewegen, wo sich Sonne auf Wonne und Herz auf Schmerz reimt, berührt einen diese so rätselhafte wie schlichte Geste tatsächlich.
„Mondnacht“ heißt der Abend, den Barrie Kosky eigentlich schon für den vergangenen Herbst konzipiert hatte, ein coronakonformes Geschenk an die Chorsolisten der Komischen Oper, die in den übrigen Premieren kaum zum Einsatz kamen: 75 Minuten kurz, ohne Pause, mit reichlich Abstand zwischen den Singenden – erst sind die Damen dran mit Robert Schumanns „Liederkreis“, dann die Herren mit dessen noch bekannterer „Dichterliebe“. In Arrangements für Chor, Streichorchester und Harfe von David Cavelius, szenisch eingerichtet vom Hausherrn selbst.
Sowohl den „Liederkreis“ auf Gedichte von Joseph von Eichendorff als auch die „Dichterliebe“ auf Verse von Heinrich Heine hat Schumann 1840 für Solostimme und Klavier geschrieben. Sie enthalten einige der schönsten Lied-Kompositionen überhaupt, die den gesamten Abend wölbende „Mondnacht“ (Es war, als hätt‘ der Himmel die Erde still geküsst…), „Im wunderschönen Monat Mai“, „Ich hab im Traum geweinet“. Arrangeur Cavelius gelingt das Kunststück, die romantische Stimmung aufzugreifen und in seinen Sätzen zur vollen Blüte zu bringen – sowohl in der Auffächerung der Chorstimmen, die oft klingen, als hätte Schumann sie selbst geschrieben, als auch im kleinen Orchester, in dem die Harfe alles überwölbt und auch die Streicher oft genug zart die Saiten zupfen.
Auf der bis zur Brandmauer leeren Bühne stehen anfangs nur die Chordamen, später die Chorherren in Alltagskleidung, als wären sie eben zur Probe erschienen. Scharf zeichnen sich ihre Silhouetten vor der hell erleuchteten Wand ab, währen sie langsam auf der Drehbühne vorüberziehen wie Zeugen einer vergangenen Zeit, die jetzt für eine gute Stunde zum Leben erwachen. Die Drehbühne bleibt immer in Bewegung und damit auch die Sänger, die kaum merklich die Position ändern, um dem Publikum und dem Dirigenten zugewendet zu bleiben.
„Son et lumière“ heißt der Abend im Untertitel vornehm auf Französisch: Ton und Licht. Viel mehr ist es tatsächlich nicht, was Kosky szenisch arrangiert hat: Mal hängt die Bühne hüfthoch voller Glühbirnen, mal verströmt sich träge ein Nebel, mal zuckelt vorne an der Rampe ein einzelner Scheinwerfer vorbei und wirft lange Schatten. Manchmal malt auch der Projektor Wellen oder Blütenschnee auf die Sängerinnen.
Hübsch ist das, aber belanglos. Im Zentrum steht ohnehin der Gesang, den Cavelius am Pult eher verhalten beschwört. Extreme sind seine Sache nicht, vielmehr die genaue Auffächerung des Chorklangs. Die Damen bleiben da anfangs etwas diffus, nicht jeder Einsatz gelingt, bevor sie ihren Wohlklang dann doch voll entfalten können. Allerdings besitzt der „Liederkreis“ auch wenig derart Abgründiges wie das berühmte „Zwielicht“, dessen düstere Schreckensvisionen in Cavelius‘ Arrangement ein bisschen mehr Schwärze hätten vertragen können.
Da haben die Herren das dankbarere Material, können öfter markig auftrumpfen und sämtliche Klangschleusen öffnen. Auch das Streichorchester hat hier interessantere Aufgaben, weil Schumann in seinen Nachspielen oft den Liedtext kommentiert. Schon die Verse sind ja in ihrem Schwanken zwischen Gefühlsextremen vertrackter, als die schlichte Oberfläche vermuten lässt, voller Brüche, Witz, Ironie, die auch durch die Musik geistern. Schön übrigens, dass es für die sich selbstbewusst Chorsolisten nennenden Sänger entsprechend solistische Aufgaben gibt: Von Katrin Le Prevost und Antje Bornemeier, Thaisen Rusch und Ezra Jung will man unbedingt mehr hören.