Theaterkritik: Das Gespenst der Kunstfreiheit

Theaterkritik: Das Gespenst der Kunstfreiheit

Kirill Serebrennikow macht am Thalia Theater Hamburg aus Anton Tschechows Novelle „Der schwarze Mönch“ einen Abend über Künstler und Kunst

Wer hat Recht: Andrej Kowrin, dem im Wahn der Schwarze Mönch erscheint, ihm Genie attestiert und der daran glauben will, selbst wenn der Mönch deutlich sagt: „Ich existiere in deiner Vorstellung“? Der Frau und Schwiegervater beschimpft, weil sie ihn so lange kurieren, bis der Wahn, aber auch aller Esprit aus ihm gewichen sind? Oder Tanja, die der spießigen Enge ihres Vaterhauses entfliehen möchte, deshalb Kowrin heiratet und erst an seiner Seite merkt, dass es dort nicht besser ist? Oder ihr Vater Pessozkij, der sich einzig für seinen Garten interessiert und dabei vollkommen die Bedürfnisse und Eigenschaften seiner Mitmenschen übersieht?

Man weiß es nach der Lektüre von Anton Tschechows 1893 geschriebener Novelle „Der schwarze Mönch“ nicht. Was eine der großen Stärken des Textes ist, der die romantische Geisterfigur zum Anlass nimmt, sich Gedanken über Begabung und (Selbst-)Überschätzung, Beschränkung und Freiheit, Mittelmaß und Herdentrieb zu machen. Man weiß es auch nach den knapp drei pausenlosen Stunden von Kirill Serebrennikows Inszenierung am Hamburger Thalia Theater nicht genau. Dass der Regisseur, der zu den Endproben Russland überraschend verlassen durfte, aus dem Wissenschaftler Kowrin einen Künstler macht, legt aber eine Spur. Implizit steht an diesem Abend auch Serebrennikows Position als unbequemer Theaterschaffender in Russland zur Disposition.

Vier mal hintereinander erzählt Serebrennikow die Handlung aus wechselnden Perspektiven: der Pessozkijs, Tanjas, Kowrins und des Mönchs. Ein Rondo mit opernhafter Üppigkeit aus Schauspieler:innen, Sängern, Tänzern.

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