Essay: Wunderkammern der Selbstwerdung

Essay: Wunderkammern der Selbstwerdung

Identitätsfragen waren für das Kinder- und Jugendtheater schon immer zentral: Wer bin ich? Wer will ich werden? Zuletzt sind queere Themen hinzugekommen und zum selbstverständlichen Teil von Erzählungen geworden, die offen und vielfältig sind.

„Name?“ „Zwei, bitte“, sagt die junge Frau*, die unruhig auf ihrem Stuhl sitzt. Hastig blättert eine der beiden Beamten-Figuren, die hier offenbar für die Namenszuteilung zuständig sind, in ihrem Kasten, zieht zwei Karteikarten heraus und liest: „OlgaFranz“. Ihr Kollege fragt weiter: „Geschlecht?“ „Zwei, bitte.“ „Jungemädchen“, konstatiert er und haut mit zwei Stempeln gleichzeitig aufs Formular. Ein wenig kafkaesk wirkt diese Amtsstube schon, die entsprechende Abgründe birgt. Eine Figur erhält gar keinen Namen und ist verzweifelt: „Ohne Namen weiß niemand, dass es mich gibt.“

Es ist eine prägnante Szene im Kinderstück „Das Leben macht mir keine Angst“ des Jungen Schauspielhauses Düsseldorf, die – ausgehend vom gleichnamigen Gedicht Maya Angelous – sieben Figuren auf eine Reise zu sich selbst schickt. Wenige Themen beschäftigen Kinder mehr als Identitätsfragen: Welche Eigenschaften besitze ich? Was macht mich besonders, was habe ich mit anderen gemeinsam? Welche Erwartungen gibt es an mich – von den Eltern, Großeltern und Geschwistern, von anderen Kindern, den Erzieher:innen, den Lehrer:innen? Kann und will ich sie erfüllen? Zu welcher Gruppe gehöre ich? Und mit wem will ich auf keinen Fall in Verbindung gebracht werden?

Genau hier setzt Kinder- und Jugendtheater an, das sich mit queeren Themen, Motiven, Fragen auseinandersetzt. Queer ist ja weit mehr, als sich hinter dem LGBTQIA+-Abkürzungsstrauß verbirgt, mehr auch als sexuelle, romantische und Gendervielfalt und das Hinterfragen von Heteronormativität. Gerade weil der Begriff definitionsoffen ist, in seiner Geschichte so viele Entwicklungen durchlaufen hat – vom Schimpfwort über die kämpferische Selbstbezeichnung insbesondere mehrfach Marginalisierter bis zum intersektionalen Theorie- und Lebenskonzept –, taugt er auch für Stücke, Inszenierungen und Performances, die eher generell an Identitätsfesten rütteln – wie „Das Leben macht mir keine Angst“. Je nach Lesart ist queer zudem eine alle Marginalisierten umarmende Utopie: Jede:r ist willkommen.

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