Theaterkritik: Wenn Gott vom Glauben abfällt

Theaterkritik: Wenn Gott vom Glauben abfällt

Comeback für Sophie Rois: René Polleschs “ Mein Gott, Herr Pfarrer!“ an der Volksbühne

Die frohe Botschaft zuerst: Sophie Rois ist wieder da! Zurück an der Volksbühne, die sie in den Jahren Frank Castorfs geprägt hat wie kaum ein anderer. Längst ist sie auch durch Kino, Polizeiruf, Tatort und ihre Jahre am Deutschen Theater berühmt. Angefangen aber hat alles hier, vor dem hohen Rundhorizont im Haus am Rosa-Luxemburg-Platz, bei Frank Castorf, Sebastian Hartmann und René Pollesch.

Jetzt ist sie also zurück und Pollesch ein eher glückloser Volksbühnen-Intendant, der jede Form von Unterstützung gebrauchen kann. Auch die von Stars. In Polleschs neuestem Stück „Mein Gott, Herr Pfarrer!“ schlendert sie erst mal ziemlich lässig in grauem Kleid und mit zerzaustem Haar auf die Bühne. Leise seufzt und krächzt und nölt sie den typischen Rois-Sound, jeder Zoll eine Königin, gleich, ob sie hier gerade Mutter, Geliebte, Glaubenszweiflerin oder einen Unterhaltungskünstler spielt. Entsprechend aufgekratzt ist das Publikum – am Ende gibt’s Schauspielerjubel satt.

Für seine Stücke bedient sich Pollesch immer an anderen Werken. Diesmal zitiert er sich durch Ingmar Bergmans Film „Licht im Winter“ von 1962. Ein glaubenszweifelnder Pastor, ein Mann, der Selbstmord verübt, dessen Frau, die vorher noch versuchte, ihn zu retten, aber zugleich Teil des Problems ist – ziemlich düstere Motive hat Pollesch gewählt, um sie in der üblichen Manier zum Meta-Boulevard zu verarbeiten.

Man muss Pollesch für die Wahl des sperrigen Stoffs dankbar sein. Denn um das Thema Religion und Glauben machen die Bühnen, erst recht im atheistischen Berlin, einen großen Bogen – wenn sie nicht gleich den Grund allen Übels in ihm sehen. Hier aber streiten Rois und Benny Claessens plötzlich über die Theodizee, also die Frage, warum Gott das alles zulässt. Oder warum Jesus am Kreuz so verzweifelte, dass er ausrief: „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Warum zitiert Jesus hier noch im Sterben das Alte Testament? Und: „Welchen Gott könnten Atheisten besser brauchen als einen, der vom Glauben abgefallen ist?“

Das sind theologische Kernthemen, die hier im Parlando-Ton aufscheinen und es verdient hätten, eingängiger diskutiert zu werden. Weil sie sperrig sind, sich einfacher Antworten verweigern und an etwas rühren, über das man schwer reden kann: unsere Angst vor dem Tod. Und weil der Glaube an Gott heute einem Glauben an sich selbst gewichen ist – vielleicht auch nicht der Weisheit letzter Schluss, wie Pollesch selbst andeutet.

Aber natürlich lösen sich die theologischen Fragen bei Pollesch ebenso schnell auf wie die konkreten Situationen des Films, weil insbesondere Rois ständig die Rollen wechselt, mal die nervige Mutter einer schrecklich netten Familie, dann wieder Alleinunterhalter ist auf der Bühnenschräge, die Hartmut Meyer (noch so ein Volksbühnen-Rückkehrer) auf die Bühne gestellt hat: Hinten führt eine Wand ums Eck, die wirkt, als habe sich ein impressionistischer Maler in seiner gelben Phase ausgetobt. Davor gibt’s ein Treppenpodest mit Drehstühlen drauf, manchmal Tisch und Stühle; hin und wieder taucht zudem eine riesige Windmaschine auf.

Dass die, wenn sie vor sich hin dröhnt, ein Verstehen nahezu verunmöglicht, ist nicht weiter wild. Oft hat man den Eindruck, als drehten sich die Dialoge noch mehr als sonst bei Pollesch vor allem um die, die da real auf der Bühne stehen, also um Rois, Claessens, Inga Busch und Christine Groß. Es macht ja auch Spaß, all den Insider-Witzen aufzulauern, etwa wenn Rois seufzt: „Ich hab mich jede Sekunde nach Hause gesehnt“ oder ausruft: „Hier waren wir doch schon mal“, was sich in diesem Fall ebenso auf die Volksbühne bezieht wie auf die Dialoge, die sich wiederholen.

Und zwar oft genug an der Rampe. Hebt schon Polleschs Text nicht so recht ab, der sich kaum entscheiden kann zwischen einem Ernstnehmen theologischer Fragen und ihrer Persiflage, so tritt seine Inszenierung noch stärker auf der Stelle. Oft stehen Rois – nun in einem hinreißend wallenden roten Kleid – und Claessens vorne und stemmen mit großen Gesten ihren Text, als wären‘s Opernarien. Natürlich ist das komisch, natürlich ist das wunderbar.

Nur kann es nicht darüber hinwegtäuschen, dass diesem Abend das Zündende fehlt, das Neue. Denn auch Chöre – sich bewegende, sprechende, singende – gab’s bei Pollesch schon oft. Hier ist es der Mädchenchor der Sing-Akademie, der unter Kapuzen (die Assoziation mit Mönchsgewändern ist von Kostümbildnerin Sabin Fleck vermutlich gewollt) auf die Bühne schreitet, ein Kyrie antäuscht, dann aber doch lieber flockig Johnny Burnettes „Your Sixteen“ trällert. Und auch, wenn sich Rois, Claessens, Busch und Groß die Bälle routiniert zuwerfen wie einst, so stimmt doch auch, was Rois kurz vor Schluss so hinreißend komisch über die Rampe krächzt: „Die sind hier alle in einem Zustand! Viel schlechter als gedacht!“

Man ist also schon drauf und dran, den Abend abzuhaken, als Bühnenarbeiter die Rückwand demontieren und noch einmal der Chor auftritt. Nun singt er wirklich ein Kyrie, diese eindringliche Bitte um Erbarmen, mehrstimmig aufgefächert, schmerzhaft, verzweifelt. Und danach kommt: nichts. Kein Witz, keine Ironie, keine Pointe. Das sitzt. Vielleicht ist es Pollesch mit seiner Frage nach einem Sinn doch ernster, als es scheint.