Theaterkritik: Sterblichkeit und Freibier

Theaterkritik: Sterblichkeit und Freibier

Was kommt nach dem Tod? FX Mayr inszeniert Ingrid Lausunds Monolog“ Der geflügelte Froschgott“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters

Was kommt nach dem Tod? Seit vielen tausenden Jahren suchen die Menschen nach einer Antwort. Folgen dann Paradies und Hölle? Nur ein Himmel? Ein anderes Totenreich? Reist der Körper mit? Oder manifestiert sich die Seele anders? Kommen wir alle in dasselbe Jenseits? Oder landet jeder in der Abteilung seiner eigenen Religion? Wenn ja: Welche Religion ist die richtige?

Das sind so Gedanken, wie sie sich die Erzählerfigur in Ingrid Lausunds neuem Stück macht. Und immer dann, wenn ein Gedanke besonders absurd wird, bremst er (oder sie) sich selbst: „Das scheint mir doch sehr zweifelhaft.“ „Der geflügelte Froschgott“ ist ein langer Monolog, der mit immer neuen Schlaufen und teils herrlich komischen Beispielen – gibt’s im Jenseits auch italienische Restaurants? – am Ende vom Verlust eines geliebten Menschen erzählt. Der Erzähler – oder die Erzählerin, das Stück gibts in zwei Fassungen – hofft, dem gestorbenen Mann, der gestorbenen Frau möge es gut gehen, wo immer das auch sei.

Für dieses Wandeln auf dem schmalen Grad zwischen Witz und Tragik, Philosophie und Alltag ist Lausund preisgekrönt. Außerhalb der Theaterszene kennt man sie unter ihrem Pseudonym Mizzi Meyer, Drehbuchautorin des „Tatortreinigers“. In der Fernsehserie fand sich Bjarne Mädels Schotty in Situationen wieder, in denen es um die großen Fragen des Lebens ging: Wie geht Haltung? Was ist Liebe? Was kommt nach dem Tod? Diese Kombination aus gesundem Menschenverstand, den Abgründen des Alltäglichen und Philosophie prägt auch Lausunds Stücke. An den Kammerspielen des Deutschen Theater lief zuletzt „Der Weg zum Glück“, ein hinreißend komischer, hinreißend trauriger Monolog, den Bernd Moss spielte (wie übrigens schon zur Hamburger Uraufführung 2004). Auch in einer „Tatortreiniger“-Folge hatte er einen markanten Auftritt als neurotischer Schriftsteller.

Ehrensache, dass Moss auch jetzt wieder dabei ist. Er gehört zu jenen im Ensemble, die trotz des Intendanzwechsels bleiben, und man merkt einmal mehr, warum das Deutsche Theater ihn braucht. Niemand sonst beherrscht derart den leichten, ironischen Ton, der jederzeit in Verzweiflung oder Schärfe kippen kann. Niemand tänzelt so elegant, als wäre es nichts, dabei in einem Reifrock zu stecken. Niemand verströmt eine derartig angekratzte Würde.

Wobei Regine Zimmermann ihm eine großartige Partnerin ist mit ihrer angerauten Stimme und ihrem Körper, der sich immer etwas widerständig über die Bühne zu bewegen scheint. Beide stecken in denselben neongelben Kleidern, oben Mönch, unten Prinzessin. Beide trippeln über die Bühne wie Hoffräulein. Mal sprechen sie chorisch, mal teilen sie den Monolog unter sich auf, als wären sie ein zweiköpfiges Wesen, dessen Münder einander auch mal widersprechen: „Angenommen mal, ich habe eine Seele…“

Regisseur FX Mayr hat die beiden Monologvarianten (die sich ohnehin nur in Details unterscheiden) vereint. Gemeinsam schickt er Moss und Zimmermann auf Korbinian Schmidts Bühne der DT-Kammerspiele, ein rot-pinker Boden, der hinten von einer Bretterwand begrenzt wird (wartet da das Jenseits?). Vor allem aber hat er vier Tänzerinnen und Tänzer hinzugefügt mit weiten Capes und Masken, die an Tiere erinnern: Ein Vogel ist dabei, Reptilien, eine Raubkatze – halb Engel, halb jene Tiergötter, die der Erzähler auf seiner Suche nach der gültigen Religion gerne ausschließen möchte (auch der titelgebende Froschgott gehört dazu).

Zu den treibenden, dann stolpernden Beats von Matija Schellander lassen sie die Hände flattern, schreiten mal entschieden, dann eher tastend aus. Das sieht gut aus und lässt dem Kopf Raum, um den dichten Text sacken zu lassen. Sie verwandeln nach einer guten Stunde die Bühne zudem in ein Fest. Das Publikum strömt runter zu Freibier, Laugengebäck und Musik – ein befreites Aufatmen, bevor Moss und Zimmermann zum Finale ansetzen, das es noch mal in sich hat.

Denn das, was Lausunds Text verhandelt, ist so stark, weil man die Gedanken der Erzählerfigur im Kopf direkt weiterspinnt. Weil ihre Ängste, Sorgen, Spekulationen menschlich, allzumenschlich sind. Weil hinter allem die Zumutung steckt, sterben zu müssen. Und weil gegen diese Angst manchmal nur das Lachen hilft.