Interview: „Plötzlich eine andere Stimme“

Interview: „Plötzlich eine andere Stimme“

Der Tenor Juan Diego Flórez über seine Partie in Giacomo Meyerbeers Oper „Die Hugenotten“ und die Chancen des Älterwerdens für einen Sänger

Er gehört zu den bekanntesten Tenören der Welt, geliebt für seine mühelosen Höhen wie für seinen Sexappeal: Juan Diego Flórez. Gerade bereitet er an der Deutschen Oper Giacomo Meyerbeers Grand opéra „Die Hugenotten“ vor, die in epischer Breite und beeindruckenden Massenszenen vom Bartholomäusnacht-Massaker 1572 an den französischen Protestanten erzählt. Am Sonntag ist Premiere.

Herr Flórez, Sie sind der führende Rossini-Tenor der Welt, ein tenore di grazia, wie er im Buche steht. Jetzt singen Sie in Meyerbeers „Hugenotten“ den Raoul, eine Tenorpartie, die wesentlich mehr Wucht erfordert. Deutet sich da gerade ein Fachwechsel an?

Juan Diego Flórez: Jeder um die 40 erlebt eine Veränderung, die Stimme wird etwas tiefer. Das muss aber nicht unbedingt schlecht sein. Als ich die Veränderung bemerkte, hatte ich echte Probleme, meine Stimme wiederzufinden. Aber dann ist mir aufgefallen, dass für mich die Mittellage plötzlich viel bequemer ist. Jetzt habe ich meinen Weg gefunden, beides zu singen, Rossini-Rollen wie in „Donna del lago“, aber auch Massenets „Werther“, Gounods „Romeo“, Meyerbeers „Hugenotten“.

Kriegen Sie noch Ihre berühmten hohen Cs?

Wenn die Stimme in der Mittellage etwas dunkler wird, verliert man oft an Höhe. Bei mir ist das nicht so: Ich kann die „Regimentstochter“ singen, die „Hugenotten“ – die Raoul-Partie ist sehr hoch! Natürlich ist die Höhe jetzt anders, ein anderer Klang, aber immer noch stark. Ich bin froh, denn ich liebe Belcanto, ich liebe Rossini, aber ich liebe auch Offenbach, „Lucia di Lammermoor“, „Rigoletto“. Es ist eine großartige Möglichkeit, mein Repertoire zu erweitern, die mir die Natur da gegeben hat.

Die Deutsche Oper bemüht sich ja in ihrem über Jahre angelegten Meyerbeer-Schwerpunkt um eine philologisch genaue Rekonstruktion der Urfassungen. Macht das die Arbeit an den „Hugenotten“ zu einer Entdeckungsreise?

Wenn man eine Oper macht, die noch niemand gesungen hat wie in dieser Besetzung, ist es so, als ob wir ein frisch komponiertes Werk uraufführen würden. Natürlich gibt es Aufnahmen. Aber es ist wirklich aufregend, so zu arbeiten, weil man einen unbekannten Kontinent entdeckt. Auf den Orchesterproben geht es gerade sehr um die Balance, der Chor ist riesig, hat einen starken Klang, ist auch sehr hoch. Diese Oper ist eine Mauer aus Klang!

Genau das macht Meyerbeer ja aus.

Ja, das ist Grand Opera. Als Rossini vom Direktor der Pariser Oper mal bei einer Begegnung auf der Straße gefragt wurde, ob er schon „Die Hugenotten“ gesehen habe, hat Rossini geantwortet: „Das muss ich nicht. Ich hör’s auch hier auf der Straße.“

Die Geschichte der „Hugenotten“ erscheint erstaunlich zeitgemäß: der Kampf der Kulturen, der religiöse Fanatismus, irrationaler Hass statt Dialog im postfaktischen Zeitalter. Was wird davon auf der Bühne umgesetzt?

Wir bleiben dicht am Libretto. Das wird nicht gebrochen. Die Story ist aktuell genug, weil wir sie gerade so ähnlich erleben. Aber in der Geschichte hat’s das immer wieder gegeben: Religionskriege, Rassenkriege. Letztlich wiederholt sich die Geschichte, unabhängig davon, dass wir in einer modernen Zivilisation leben.

Hat Ihr Fachwechsel auch damit zu tun, dass viele der Rollen, die sich Ihnen jetzt erschließen, eine größere Bandbreite an Gefühlen verlangen, bei denen Lebenserfahrung nicht schaden kann?

Ich wollte immer mehr singen als Belcanto. Ich wusste nur nicht, ob meine Stimme das kann. Nicht, weil es so kompliziert wäre – Rossini ist das schwerste. Sondern weil man eine bestimmte Klangfarbe braucht. Jetzt singe ich „Werther“, was ich nie für möglich gehalten hätte. Ich singe es mit meinem Stil, übe nie Druck auf meine Stimme aus. Als ich in den vergangenen Jahren versucht habe, meinen neuen Weg zu finden, kam das schon mal vor. Aber jetzt nicht mehr. Ich kann jetzt viel mehr Rollen singen und liebe es. Mozarts berühmteste Tenorpartien zum Beispiel sind sehr tief. Jetzt fühle ich mich damit nicht mehr unwohl. Ich freue mich auf die Zukunft, weil ich weiß, dass ich als Künstler reicher werde. Ich werde nicht mehr so viel Oper machen. Aber die Rollen, die ich mache, werden neue sein.

Warum weniger Oper?

Weil ich mehr Zeit mit meiner Familie in Wien verbringen möchte. Meine Kinder gehen zur Schule, da will ich nicht mehr so viel unterwegs sein. Deswegen werde ich nur noch mit bestimmten Opernhäusern zusammenarbeiten, mit Covent Garden, der Met, der Scala, und den Rest mit Konzerten bestreiten. Das gute an Konzerten ist: Du kannst kommen und gleich wieder gehen.

Außerdem bringt so eine Konzentration auf einen Ort natürlich mit sich, dass Sie sich die neuen Rollen mit Zeit und Ruhe erarbeiten können. Als Sänger besteht ja immer die Gefahr, seine Stimme zu schnell zu verschleißen.

Ab 40 wird man alt, das kann man nicht ändern. Das ist wie mit den Fußballspielern, die spielen bis Mitte Ende 30. Bei uns Sängern ändert sich die Stimme. Das ist nicht weiter schlimm, aber man muss damit intelligent umgehen. Manchmal verändert sie sich stark – boom, plötzlich hast du eine andere Stimme. Manchmal verändert sie sich nur ein kleines bisschen wie bei mir. Aber es bleibt ein Trauma, weil man plötzlich merkt: Oh, ich hab das immer so und so gemacht und plötzlich funktioniert das nicht mehr. Wo packe ich jetzt diesen Klang hin? Manche, die dieses Alter überschreiten, nehmen Rollen an, von denen sie nicht genau wissen, wie sie sie singen können. Und hören schließlich ganz auf.

Wenn Sie jetzt weniger Oper machen, haben Sie vermutlich mehr Zeit für Ihre Stiftung „Sinfonía por el Perú“, mit der Sie Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien musikalisch fördern.

Eigentlich ist es weniger ein musikalisches als ein soziales Projekt. Die Kinder spielen in Orchestern, singen in Chören. Hier lernen sie Werte, hier werden junge Menschen, die die Gesellschaft vernachlässigt, selbstsicherer und in ihrer Persönlichkeit gestärkt. 2016 werden wir 6000 Kinder und Jugendliche aus sozial schwachen Familien in 20 verschiedenen Schulen fördern. Wir haben ein Orchester aus 200 Kindern, die das Projekt repräsentieren. Die sind fantastisch, im Kern zwischen 8 und 12 Jahre alt, und sie spielen großartig! Dieses Orchester wird bald in der Lage sein, in Europa auf Tournee zu gehen.

Auf Ihrer Homepage nennen Sie als Hobbys Fußball, Tennis, Kochen und Komponieren. Dafür dürfte jetzt auch mehr Zeit bleiben.

Naja, komponieren… Ich habe Orchesterarrangements gemacht, zum Beispiel, als ich mit Gustavo Dudamel „ La flor de la canela“ gesungen habe. Aber so was schaffe ich gerade aus Zeitgrünen nicht mehr. Fußball spiele ich fast jeden Samstag in Wien oder in Italien. Tennis nicht mehr so oft. Kochen? Nie! Naja, hier in Berlin in meiner Wohnung, aber ganz einfache Sachen.

Natürlich, Sie wollten ja Zeit für Ihre Familie haben.

Genau! Leandro ist fünfeinhalb, lernt gerade Violine und Tennis, weil man Tennis überall spielen kann, während man für Fußball ein Team braucht. Lucia ist sehr musikalisch, erst zwei, aber vermutlich musikalischer als Leandro. Leandro wird mal Dirigent und Lucia Sopran.

Sie leben jetzt schon eine Weile mit Ihrer deutschen Frau in Wien. Warum führen wir das Interview eigentlich in Englisch?

Ich lerne es, verstehe viel. Aber wenn’s ums Sprechen geht, bin ich eher schüchtern. Meine Frau spricht mit den Kindern Deutsch, ich Spanisch, und ich sollte mit ihnen auch keine andere Sprache benutzen, damit sie wirklich zweisprachig aufwachsen. Aber so lerne ich’s natürlich nicht. Vielleicht klappt’s nächstes Jahr!