Opernkritik: Viel Liebe und offener Hass

Opernkritik: Viel Liebe und offener Hass

Deutsche Oper macht Lust, Giacomo Meyerbeer neu zu entdecken. Inszenierung mit glänzender Besetzung

„Dieu le veut“ steht in großen Buchstaben auf der Bühne: Gott will es! Und das gleich mehrfach, als blasser Fries in der kühlen Industriehalle, die Giles Cadle zum zurückhaltenden Rahmen macht für die großen Massenszenen. Und deutlicher auf einem Schild, das im dritten Akt vom Bühnenhimmel hängt. Schließlich würde es „Die Hugenotten“ ohne religiösen Fanatismus nicht geben: In der Bartholomäusnacht 1572 ließ die katholische Liga um die Königsmutter Katharina di Medici die Elite der französischen Protestanten niedermetzeln, die für die Hochzeit zwischen Katharinas Tochter Marguerite und dem Navarra-König Heinrich angereist waren.

Natürlich ist diese Geschichtsstunde in erster Linie Anlass für Giacomo Meyerbeer, um in seiner Grand Opéra von 1836 von Liebe und Hass zu erzählen: Der Hugenotte Raoul liebt die katholische Valentine. Als sie ihm – in einem utopischen Moment möglicher Verbrüderung – auf dem Silbertablett serviert wird, weist er sie zurück, weil er glaubt, dass sie die Geliebte eines katholischen Rivalen ist. Zu spät erkennt er seinen Irrtum. Gemeinsam sterben sie im Massaker, den Himmel fest im Blick.

Da rollen nicht nur Meyerbeer und sein Librettist Eugène Scribe mit den Augen, sondern auch Regisseur David Alden. Er nimmt diese Grand Opéra, die ja alles Folgende schon ins sich trägt, die Operette, das Musikdrama, aber auch Hollywood, als großen Setzbaukasten und Bilderbogen, den er Akt für Akt mit durchaus großen Schauwerten auspinselt und sich dabei durch die Epochen zitiert. Dabei bleibt er bei den Schöpfern, wenn er dem aufstrebenden Pariser Bürgertum des industriellen Zeitalters einen Spiegel vorhält: Schon Meyerbeer und Scribe karikieren die katholische Elite als vergnügungssüchtige Wein-, Weib- und Gesangsmeute und den Konflikt als eine reine Machtfrage, obwohl sich die Protagonisten so vehement auf Gott berufen. In der verhältnismäßig unblutigen Revolution von 1830, die bei der Uraufführung erst ein paar Jahre zurücklag, ging es ja auch um Einfluss und nur vordergründig um Gerechtigkeit.

Zuerst also spaziert das Bürgertum der Entstehungszeit in Frack und Zylinder herum. Auf die männliche Falschheit folgt die der Frauen: Auch bei Prinzessin Marguerite, Braut des späteren Heinrich IV., wird getrickst und manipuliert, dass es eine buffoneske Freude ist (und eine für die Augen dank der opulenten Kostüme von Constance Hoffman). Patrizia Ciofi verleiht ihrer Marguerite duftig-leichte Koloraturen, die zuweilen ins Hysterische grätschen, bleibt in der Mittellage allerdings spröde. Toll, wie sie und Raoul flirten, obwohl sie ihn doch für ihre Hofdame Valentine klarmachen soll. Aus der Feier-Queen vor bröckelnder Palastkulisse wird keine Friedenskönigin: Am Ende geistert sie blutbeschmiert durch die Katastrophe.

Das große Verdienst von Alden und seinem Team ist es, wie in der Entstehungszeit die Musik durch die Szene zu steigern, auch wenn das unterschiedlich gut gelingt und immer mal wieder unfreiwillig komisch erscheint – die großen Tableaus, in denen alle herumstehen und brüllen, entlarven die Hohlheit von zähneknirschendem Frieden wie offenem Hass. Dazwischen springt eine Gruppe von Tänzern umher, die dem Ganzen einen Hauch von Groteske verleiht. Sicher ließen sich auch andere Lösungen denken, etwa eine stärkere szenische Arbeit mit dem stimmlich enorm geforderten (und entsprechend bejubelten) Chor. Aber so geht’s auch.

Wesentlich werden Oper und Inszenierung, wenn die beiden Liebenden aufeinandertreffen. Darin steckt so viel Hoffnung wie Trostlosigkeit, dass die beiden geradezu heutig erscheinen. Hier der hübsche, ehrpusselige und nicht gerade wahnsinnig intelligente Raoul, dort Valentine, die von einer passiven Schönheit zur selbstbewussten Frau reift. Das ist auch so komponiert, und es ist faszinierend zu erleben, wie Olesya Golovneva allmählich aufblüht, beweglich wird in ihrem Spiel, wie ihre Stimme an Charakter gewinnt und an Tiefe. Und wie Juan Diego Flórez sich mit seinem eher leichten Tenor, seinen strahlenden Spitzentönen, aber auch einer zunehmend metallischen Mittellage so gar nicht verändert dabei, ein etwas überforderter Sunnyboy, der durch sein Schicksal stolpert. Beide ergeben eine wunderbare szenische Reibung und vokale Verschmelzung, zumal die Musik hier oft schon Verdi vorwegnimmt. Allein dafür lohnen die fünf Stunden!

Aber auch, weil viele weitere Rollen glänzend besetzt sind, etwa mit Ante Jerkunica und Irene Roberts. Und weil Dirigent Michele Mariotti weiß, wie viel Rossini einerseits in diesem Meyerbeer steckt, andererseits, wen der Komponist alles vorwegnimmt. Er verführt das Orchester der Deutschen Oper zu bemerkenswerter Luftigkeit und Farbenreichtum, zu einer Lust, in die Extreme zu gehen, das man – anders als bei „Vasco da Gama“ vor einem Jahr – endlich begreift, warum es lohnt, Meyerbeer wiederzuentdecken. „Die Hugenotten“ sind ja Teil eines Meyerbeer-Großprojekts, ein Alleinstellungsmerkmal der Deutschen Oper weit über Berlin hinaus. Und nun endlich zeigt sich, wie witzig und ironisch, wie kraftvoll und in gewisser Weise sogar politisch Meyerbeer sein kann. Ohrwürmer sind hier nicht zu holen. Aber ein höchst lebendiges Kontrastprogramm, eine Klang-Collage, die in ihrem Mut, sich die verschiedensten Stile und Formen anzueignen, heute erstaunlich modern wirkt.