Opernkritik: Großes wird klein und Kleines groß
Bei den Bayreuther Festspielen musste Jonathan Meese den „Parsifal“ abgeben, jetzt zeigt er den „Mondparsifal“
Am Ende stehen alle zum großen Tableau aufgereiht: links die Chorfrauen in Sailormoon-Dress, rechts die Männer mit Spock-Ohren und Eisernen Kreuzen auf der Brust, in der Mitte Kundry als Mischung aus Stummfilm-Kriemhild und Opern-Brünnhilde, neben ihr der goldene Ritter Parsifal. „Du weißt, wo du ich finden kannst“, singen sie. Dann senkt sich eine weiße Leinwand, auf der steht: „Kunst Ruf mich an!!!“
Da blinzelt er wieder kokett, dieser Jonathan Meese, das ungezogene, große Kind der Kunstszene. Er ist der Grund, warum es „Mondparsifal“ bei den Berliner Festspielen gibt – als Anreger der Komposition, auch als Regisseur und Ausstatter. Eigentlich sollte Meese 2012 Richard Wagners „Parsifal“ in Bayreuth inszenieren. Damals sagte die Festivalleitung ab, angeblich war das Bühnenbild zu teuer. Vermutlich aber grauste es ihr eher vor der sich abzeichnenden statischen Kitschorgie.
Meese steht für die „Diktatur der Kunst“, also: Kunst, die unabhängig ist, sich nicht vereinnahmen lässt, Symbole wie den Hitlergruß entpolitisiert, umdeutet, neue Assoziationsräume schafft. Dass sie damit zugleich zum Event wird, ist ihm offensichtlich egal. So auch bei „Mondparsifal“, das im Sommer bei den Wiener Festwochen herauskam. Wenn der Erzprovokateur mit Ateliersitz in Prenzlauer Berg ruft, ist das Haus der Berliner Festspiele voll. Vor der Vorstellung lassen sich Damen in Highheels und Minikleid vor Meeses Kunst fotografieren, als wäre es die Werbewand einer Preisverleihung. Später zücken sie bei jeder Gelegenheit die Handys, um während der Aufführung Fotos zu machen – oder um ihre Mails zu checken.
Denn ganz so aufregend wie das Rauschen um Meese ist der gut vierstündige Musiktheaterabend nicht. Komponist Bernhard Lang, der sich mit Opernüberschreibungen einen Namen gemacht hat, erzählt die „Parsifal“-Geschichte Akt für Akt, wie sie bei Wagner steht: Der reine Tor ist der einzige, der die Wunde des Gralskönigs Amfortas heilen kann, mit dem Speer, der diese Wunde schlug, „durch Mitleid wissend“. Zugleich überschreibt er sie, macht Großes klein und Kleines groß, allein schon durch seine Loop-Technik, die einzelne Sätze und Wörter, aber auch musikalische Phrasen herausreißt und wiederholt.
Das ist die stärkste kompositorische Geste, weil sie zum Kommentar wird und Wagner in den Jazz treibt. Gerald Preinfalk etwa schafft mit seinem wilden Saxophonsolo einen kurzen Moment des Deliriums. Da legen dann auch Schlagzeug und Bass los, swingt die Musik cool. Viel zu oft aber wabert sie unbestimmt vor sich hin, kann sich nicht entscheiden zwischen Nachempfindung und Stellungnahme.
Meeses Inszenierung wiederum lebt von seiner spezifischen Bilderwelt, all den Eisernen Kreuzen, Pop-Zitaten, bekritzelten Flächen, dem Müll. Schon in den Foyerräumen im Haus der Berliner Festspiele breitet er sie aus, was oft so wirkt, als hätte er sein altes Kinderzimmer, den Dachboden und sein Atelier geplündert, um nun mit Stofftieren, Kunstblumen, Handtüchern und Kuchenrezepten riesige Stillleben und kleine Bühnenräume zu inszenieren. Wenn da einmal Wagners Bayreuth-Slogan „Hier gilt’s der Kunst“ krakelig auf einer Hundewelpenkuscheldecke prangt, dann hat das durchaus Witz.
Ähnlichen Witz aber entfaltet seine Inszenierung viel zu selten. Am Besten funktioniert Meeses Kommentarspur, die parallel zu den Übertitelungen mitläuft: „Mütze ab, Richard Wagnerz kommt“. Auf der Bühne stapeln sich wilde Zitatlandschaften zwischen Serientrash, Wagner-Anspielungen und Privatmythologie – vorne sitzt seine Mutter als Humpty-Dumpty-Pappkamerad und verkündet: „Siehste!“
Auch im Publikum sitzt die Mutter. Nur hilft das einem nicht weiter mit einem Abend, bei dem die Sänger sich durch Meeses Assoziationsgewitter bewegen, als wüssten sie nicht recht, was sie da sollen. Tómas Tómasson als Amfortas, Magdalena Anna Hofmann als Kundry und Wolfgang Bankl als Gurnemanz – alles ausgewiesene Wagner-Experten – wirken stimmlich wie szenisch unterfordert, während Countertenor Daniel Gloger als Parsifal ständig an seine Grenzen kommt. Überhaupt hat man über weite Strecken den Eindruck, als säße man in einer unglücklich verlaufenden Generalprobe – unsaubere Einsätze des Arnold-Schönberg-Chores, verpatzte Wiederholungen bei den Solisten, selten Spannung auf der Bühne. Allein Simone Young, langjährige Chefin der Hamburgischen Staatsoper, holt ziemlich viel Drive aus ihrem Ensemble Klangforum Wien.