Opernkritik: Vollendetes Alte-Musik-Glück

Opernkritik: Vollendetes Alte-Musik-Glück

Eva-Maria Höckmayr inszeniert „L’incoronazione di Poppea“ an der Staatsoper

Böse Menschen haben keine Lieder? Das war schon 1643 falsch, als Claudio Monteverdis Oper „L’incoronazione di Poppea“ uraufgeführt wurde: Poppea schläft sich erfolgreich zur Kaiserin hoch, obwohl alles dagegen spricht, Staatsräson, Ehre, Treue. Darüber stolpern Seneca, den Kaiser Nero zum Selbstmord zwingt, Poppeas Ex und Kaiserin Ottavia. Ist das gerecht? Natürlich nicht. Amor triumphiert – und Monteverdi schenkt dem siegreichen Paar eines der schönsten Liebesduette der Musikgeschichte.

Aber warum guckt dann Poppea an der Staatsoper am Ende so unglücklich? Vielleicht, weil sie ahnt, dass sie jetzt alles erreicht hat und es von nun an nur noch bergab gehen kann (Geschichtsfans wissen: auch sie wird ein Opfer Neros). Oder, weil in Eva-Maria Höckmayrs Inszenierung Nero schon während der Liebschaft mit Poppea auch mit Lucano anbandelt, sie gemeinsam einen Dreier haben – und die beiden am Ende zu zweit abziehen, während Poppea nur noch die Kaiserinnenrolle bleibt. Repräsentation ist das Stichwort für die goldene, sich hinten zur Wand hochziehende Fläche mit Bremsspuren, die Jens Kilian gebaut hat. Hier gibt es kein Entkommen, bittet Höckmayr die Figuren zur Gesellschaftsaufstellung – in den prächtigen Barock-trifft-heute-Kostümen Julia Röslers.

Der Rest sind Pose und Spiel. Das ist hervorragend gemacht, weil im Hintergrund immer etwas passiert, was die Charaktere schärft, kleine Gesten, Gespräche, Tändeleien. Vorne aber regieren die Affekte – und die Musik. Die klingt oft so heutig, wie die Geschichte wirkt: Die Akademie für Alte Musik arbeitet wie Höckmayr mit Überblenden, Zuspitzungen, flirrenden Rhythmen. Dirigent Diego Fasolis gewinnt den plauderhaften Rezitativ-Begleitungen am Cembalo ironische Pointen ab, lässt gleich darauf die Musik in unendlich schmerzlicher, wissender Schönheit aufblühen.

Auch auf der Bühne herrscht vollendetes Alte-Musik-Glück. Allen voran bei Anna Prohaskas Poppea, einer bildschönen Verführerin und Spielerin, deren Zierrate betören, weil sie bei aller Kunstfertigkeit wie das Natürlichste von der Welt klingen. Kein Wunder, dass ihr Nerone verfällt, den Star-Countertenor Max Emanuel Cencic als eitlen Giftzwerg anlegt, stimmlich aber mit kulinarisch-süßer Schlagkraft ausstattet. Auch Franz-Josef Selig, Mark Milhofer, Katharina Kammerloher, Xavier Sabata sind großartig. Hingehen!