Theaterkritik: Die Verzweiflung ganz unten

Theaterkritik: Die Verzweiflung ganz unten

Der Hauptmann von Köpenick – Jan Bosse erzählt am Deutschen Theater Berlin das Märchen vom gewitzten Underdog als Sozialstudie

Was ist das für eine Type! Bisschen schmal geraten, große Augen zwischen den knochigen Schultern, noch größere Klappe. Einer, der sich an den Ecken rumdrückt, einer, dessen Frustfalten sich tief um den traurig farblosen Oberlippenbart gefressen haben. Einer, der irgendwie immer im Weg steht – und aus dessen Blick Angst, Sehnsucht, gelegentlich auch Hoffnung stieren.

Milan Peschel ist Wilhelm Voigt, jener Schuster, der die meiste Zeit seines Lebens im Zuchthaus absitzt und am Ende den Befreiungsschlag versucht, indem er als titelgebender Hauptmann auf die Macht der Uniform vertraut, Soldaten requiriert, das Köpenicker Rathaus besetzt: um endlich nicht mehr rumgestoßen zu werden, endlich einen Pass zu haben, eine Aufenthalts-, ja Lebensberechtigung. Jedenfalls in Carl Zuckmayers „Der Hauptmann von Köpenick“, dem 1931 am Deutschen Theater uraufgeführten Bühnenerfolg (der Original-Hauptmann war weitaus zwielichtiger).

Und Peschel ist großartig! Wie er schlenzt und guckt und quasselt, geht er einem herrlich auf den Keks. Wenn er sich und uns mal wieder das Leben zurechterklärt zwischen Demut und Straßenphilosophie, dann könnte er auch als Verkäufer einer Obdachlosenzeitung durchgehen. Das ist deshalb so gut, weil sich im Publikum jeder fragen muss, wie er oder sie umgehen würde, wenn so einer um einen herumlungert – wie im Laden vom Uniform-Schneider Wormser, aus dem Steffi Kühnert eine herrlich doppelbödige Ich-sag-ja-aber-eigentlich-isses-mir-wurscht-so-lange-du-nur-zahlst-Miniatur macht.

Von Außenseitern, Ausgestoßenen, durchs soziale Netz Gefallenen will auch Jan Bosse erzählen. Weder interessiert ihn die Militärparodie – die Uniform strahlt hier im Paillettenglanz, als käme sie direkt von der Revuebühne nebenan, eher ein Waren- als ein Drillfetisch – noch die Köpenickiade. Sondern der zerknautschte Mensch, der durch die groben Maschen des Systems fällt und dann von ihnen immer unten gehalten wird.

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