Theaterkritik: Sing, wenn du nicht weiterweißt

Theaterkritik: Sing, wenn du nicht weiterweißt

Glaube Liebe Hoffnung – Am Maxi Gorki Theater Berlin von Hakan Savaş Mican musikalisch komprimiert

„Heut sag ich mal meine Meinung. Einmal muss auch der Sklave reden.“ Die Juden sind an allem schuld. Die Freimaurer auch. Und die Jesuiten. Wer das zahlen muss, ist klar: Der kleine Mann natürlich. So etwa geht eine Stelle in „Glaube Liebe Hoffnung“ am Gorki Theater, und man wundert sich: Steht das wirklich so bei Ödön von Horváth?

Es steht, wenn auch nicht unbedingt im „kleinen Totentanz in fünf Bildern“ von 1932. Was klingt wie frisch von einer Kundgebung von Pegida, AfD und Co., haben Regisseur Hakan Savaş Mican und sein Team aus insgesamt vier Horváth-Werken zusammengesucht, um der ohnehin schon ziemlich demoralisierten Elisabeth die geballte Hetze-Ladung um die Ohren zu hauen. Dabei ist ja das Original bereits eine ordentliche Fiesheitsparade: Wann immer sich für die arbeitslose Dessous-Verkäuferin Elisabeth mit dem fehlenden Gewerbeschein ein Fenster öffnet, schlägt eine Tür zu – und die Leute glotzen auch noch romantisch dabei.

Klingt also wie heute – sieht aber aus wie Uropas Kintopp. Sylvia Rieger hat eine schwarze Caligari-Expressionismus-Häuserflucht gebaut mit Steg nach vorn ins Publikum und kalt leuchtenden Fensterlöchern, Sophie du Vinage im eleganten Mode-Fundus der Weltwirtschaftskrise-Jahre gewildert. Drüber tragen die Schauspieler harte Gesichter mit melancholisch gerandeten Augen, als wär’s eine Porträt-Serie von Christian Schad. Alptraumhaft hohl geistert dazu die Soundkulisse aus den Boxen, die Microport-verstärkten Stimmen flackern fahl, jeder Schritt knallt bedrohlich.

Starke Bilder sind das, besonders dann, wenn die Worte nicht mehr weiterwissen. Einmal, da ist Elisabeth schon ziemlich am Ende, beginnt Sesede Terziyan plötzlich auf Türkisch zu singen, von Sehnsucht, Einsamkeit, Schicksal. Eine herbe Arabeske, in der all die Wut und Verzweiflung vibriert, die sich diese junge Frau angefressen hat. Terziyan singt, als hinge ihr Leben davon ab. Überhaupt die Musik: Zusammen mit einigen anderen Szenen bildet sie die emotionalen Glutkerne des Abends. Lars Wittershagen legt den kühlen Beat aus, über dem der fabelhafte Daniel Kahn mit seinen wilden Songs zwischen jiddischem Folk und Kurt Weill an Klavier, Gitarre und Akkordeon die Konflikte und Sehnsüchte auf eine Formel bringt.

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