Opernkritik: Eigentlich geht es nur um Sex

Opernkritik: Eigentlich geht es nur um Sex

An der Deutschen Oper wird Korngolds vergessene Oper „Das Wunder der Heliane“ wiederentdeckt

Was für ein Rausch! Wie das braust, tobt, wogt im vielstimmigen warmen Orchestermahlstrom, aus dem hier die Harfen hervorjuchzen, da das Glockenspiel einen eigenwilligen Rhythmus hineintänzelt, es plötzlich dumpf, aber warm aus der Tiefe dröhnt. Ein aufgepeitschtes Klangmeer, das immer wieder zu orgiastischen Verschmelzungen strebt, zu Reibungen zwischen einander widerstrebenden Rhythmen, Klangtexturen, Melodien, die sich dann doch in herrlichsten Dur-Eruptionen lösen, als ginge die Sonne auf!

Es ist diese Musik, die Erich Wolfgang Korngolds Oper „Das Wunder der Heliane“ von 1927 so bemerkenswert macht: Immer, wenn man denkt, das kann man doch nicht mehr toppen, setzt er noch etwas drauf. Hoch erotische Musik mit zahlreichen Höhepunkten und einer unsterblichen Arie: „Ich ging zu ihm“ gehört zum Schönsten, was die spätromantische Opernproduktion hervorgebracht hat, von einer Intensität, die einem direkt ins Blut fährt, die körperlich berührt.

Warum aber war „Das Wunder der Heliane“ – anders als Korngolds „Die tote Stadt“ – nie besonders erfolgreich, sodass die Inszenierung an der Deutschen Oper den Rang einer Wiederentdeckung hat? Vermutlich, weil bei der Uraufführung die Spätromantik allmählich altmodisch wurde. Auch der Antisemitismus spielte eine Rolle, der Korngold schließlich ins Exil trieb. Danach machte er in Hollywood als Filmkomponist Karriere, revolutionierte das Genre, gewann zwei Oscars – und bekam mit diesem Ruf in der atonal-versnobten Nachkriegszeit keinen Fuß mehr in den europäischen Kulturbetrieb.

Vor allem aber ist Hans Müller-Einigens Libretto nach Hans Kaltnekers Drama „Die Heilige“ eine Zumutung, eher fürs Zwerchfell geeignet als für Kopf oder Herz: Es geht um Liebe, die über Hartherzigkeit triumphiert, gekleidet in eine märchenhafte Geschichte und in schwülstige christliche Metaphorik, die nur mühsam verbirgt, dass es hier die ganze Zeit um Sex geht, um körperliche Verschmelzung.

Wie kann das heute auf einer Bühne funktionieren? Zum Beispiel so, wie Christof Loy das versucht. Ausgehend von der zentralen Untersuchung, ob Königin Heliane ihrem Mann untreu war, inszeniert Loy alles in einem streng-eleganten Gerichtssaal voller Anzugträger. Hier wartet „der Fremde“ auf Freilassung oder Tod, hier bittet er Heliane als letzten Liebesdienst, sich ihm nackt zu zeigen. Der König entdeckt sie, zettelt den Prozess an, in dessen Verlauf sich der Fremde selbst tötet. Als Gottesbeweis ihrer Unschuld muss Heliane ihn wieder zum Leben erwecken – eine großartige Theaterszene! Als der Herrscher seine Frau aus Wut ersticht, sinken alle dahin, während Heliane und der Fremde auferstehen – und das Gericht als freie Seelen verlassen.

Loy, Meister der Personenführung, setzt dabei ganz auf die Sängerdarsteller, ihre Ausdruckskraft. Und auf Details: Wenn der Fremde Helianes Schönheit preist, streift sie wie beiläufig die Träger ihres weißen Ballkleides herab. Kein Wunder, dass sie am Ende nackt vor ihm steht – ein Schockmoment frei von Schlüpfrigkeit, schon allein, weil Sara Jakubiak eine so elegante Erscheinung ist. Ihren lichtdurchfluteten Sopran setzt sie kultiviert und äußerst ökonomisch ein, gewinnt ihrer Partie herrlichste Farben ab. Oft geht ihre Stimme völlig im Orchesterklang auf, steigt dann wieder strahlend empor, ein Musik gewordener Jubel. Brian Jagde als der Fremde setzt mit seinem verschwenderischen Prachttenor reichlich Schmelzglanzlichter dazu, schmettert aber auch über einige Feinheiten hinweg. Auf der Bühne geht ein besonderer Glanz von ihm aus, als würde seine Stimme seine Gestalt zum Leuchten bringen – eine messianische Lichtgestalt, wie es das Libretto fordert.

Josef Wagner als hartherziger König wiederum, den Korngold ziemlich monoton komponiert hat, nimmt als Figur ruckelnd und zuckend den Orchesterrhythmus auf, als wäre er inwendig verrostet in seiner Verzweiflung. Auch sein Bariton bleibt etwas eindimensional, stumpf, vibriert nur selten vor jener Verzweiflung, die ja auch in diesem schwierigen Charakter steckt.

Zwei starke Nebenfiguren gibt es: Die Botin, eine hexenhafte Antreiberin des Königs aus verschmähter Liebe, die Okka von der Dameraus gouvernantenhafte Sachverwalterin der Eifersucht mit expressiven Gluttönen beglaubigt. Derek Weltons Pförtner als Seelsorger und Mitleidender der Liebenden beeindruckt mit einem warmen Klangstrom. Der Chor taumelt von einem Extremzustand zum nächsten, jubelt eben noch der Erlöserin Heliane zu, um sie im nächsten Moment auf den Scheiterhaufen zu wünschen. Das klingt beeindruckend und sieht auch gut aus, weil Loy emotionale Aufruhr in Bewegung übersetzt und mit diesem Wimmelbild die dramatische Wirkung erhöht.

Das eigentliche Wunder des Abends aber passiert im Graben. Marc Albrecht kostet Korngolds Klangrausch gute drei Stunden lang aus, dimmt ihn nur gelegentlich, um einzelne Auftritte und vokale Momente zu stärken. Mit großer Lust widmet er sich den Details, die aus den Klangwogen auftauchen, legt Schichten frei, nur um sich gleich wieder miteinander verschmelzen zu lassen. So triumphiert im Libretto die Liebe zwischen Menschen – und in der Deutschen Oper die Liebe zur Musik.