Interview: Neues Spiel, neues Glück
Am Sonnabend eröffnet das Deutsche Theater (DT) seine Saison mit René Polleschs „Cry Baby“. Mit dabei: Sophie Rois, über Jahrzehnte Star an der Volksbühne. Überhaupt fällt auf: Die Regisseure wechseln, das Ensemble wird jünger. Was ist da los? Ein Gespräch mit DT-Intendant Ulrich Khuon über Veränderungen, Findungsprozesse und Berliner Besonderheiten.
Herr Khuon, Sie eröffnen die Spielzeit mit René Pollesch. Ist das jetzt die Wiederauferstehung der Castorf-Volksbühne am Deutschen Theater?
Ulrich Khuon: Es geht nicht darum, am DT ein Kapitel Volksbühne aufzuschlagen. Für mich ist die Zusammenarbeit mit René Pollesch eine wichtige Wiederbegegnung – wir haben schon am Thalia Theater in Hamburg zusammengearbeitet. Als ich von Hamburg herkam, war hier die Volksbühne seine Heimat. Dass wir jetzt die Zusammenarbeit wieder aufnehmen können, ist toll.
In dieser Spielzeit hat Pollesch gleich zwei Premieren …
…und in der nächsten geht’s weiter. Wir sind an sich kein Haus der schnellen Wechsel von Arbeitsbeziehungen. Das hat sich auch in den anderen Zusammenarbeiten gezeigt. Wenn man sich z.B. die Arbeitsstrecke von Sebastian Hartmann anguckt, von „Der Löwe im Winter“ bis „Ulysses“, oder von Jette Steckel oder Daniela Löffner, dann sieht man, wie fruchtbar das ist.
Apropos Hartmann: Die vergangene Saison endete mit einem Skandal bei den Autorentheatertagen, seiner Sex- und Schweiß-Version des Prostituiertenstücks „In Stanniolpapier“. War es die richtige Entscheidung, Hartmann damit zu betrauen? Da weiß man doch, was man kriegt.
Ich finde grundsätzlich nicht, dass man Autorinnen und Autoren vor starken Regiepersönlichkeiten schützen muss, sondern man muss die Konfrontation und die Auseinandersetzung fördern. Man kann eben nicht vorher berechnen, was dabei herauskommt. Ich kann schon verstehen, dass der Autor mit der Version unglücklich ist. Der Text wurde weitgehend reduziert. Aber ich finde, dass die Idee des Stücks in der Inszenierung schmerzhaft vorkommt – und ich bereue die Entscheidung für Hartmann nicht.
Aus etlichen Hartmann-Abenden laufen die Leute türenschlagend raus. Ist das DT der richtige Rahmen für Regisseure wie ihn?
Echt? Ich finde ihn keinen Fremdkörper, im Gegenteil. Der dramatische Text hat für uns immer eine Bedeutung, sonst hätten wir auch kein Interesse an Autorinnen und Autoren, könnten uns ganz auf Räume, Bilder, Töne verlassen. Aber ein großer Spannungsbogen ist doch sehr reizvoll. Andreas Kriegenburg und Dimiter Gotscheff sind mit Texten ja auch sehr unterschiedlich umgegangen.
Es fällt auf, dass Regisseure wie Kriegenburg und Stefan Kimmig, die lange wichtig waren für das Haus, nicht mehr so häufig inszenieren, stattdessen angesagte Namen wie Ulrich Rasche, Karin Henkel, Thom Luz. Ist das ein Versuch, sich als Haus noch einmal anders zu positionieren?
Es ist immer schwer, einerseits eine verlässliche Haltung zu Regisseurinnen und Regisseuren einzunehmen und andererseits neugierig zu bleiben und nicht zu erstarren. Wir gehen mit Regisseurinnen und Regisseuren Wege, die mehr oder weniger lang sind, die aber erkennbar – auch in der gemeinsamen Weiterarbeit – auf eine neue Energie hinsteuern.
Auch das Ensemble hat sich verändert.
Ja, natürlich, das ist ein lebendiger Prozess, und es ist auch jünger geworden. Das ist spürbar und tut gut.
Sie bleiben – und haben Ihren Vertrag bis 2022 verlängert.
Die nächsten vier Jahre haben damit zu tun, dass ich noch viele Impulse und Ideen für das Theater und für die Stadt habe. Das hat auch mit unserem Findungsprozess am Anfang zu tun, dass ich das Gefühl habe, da kann noch was kommen.
Apropos Findungsprozess: Während Ihrer Hamburger Intendanz hatte ich den Eindruck, dass das Thalia Theater wesentlich stärker auf einen Punkt zu bringen war. Das ist jetzt anders. Liegt’s am DT? An Ihnen?
Dafür gibt es sicher einige Gründe. Wichtig ist mir, dass wir energisch und lernfähig unseren Weg gegangen sind, der seit mehreren Jahren noch mehr durch inhaltliche als ästhetische Fragen bestimmt ist Wir reagieren sehr dezidiert und politisch auf die Zerrissenheit und Unsicherheit unserer Gesellschaft. Auf die aufkeimende Bereitschaft, den Rechtsstaat in Frage zu stellen, wie gerade eben wieder in Chemnitz. Darauf sind Stücke wie „Welche Zukunft!?“ von Andres Veiel, „Vor Sonnenaufgang“ von Ewald Palmetshofer, „Die stillen Trabanten“ von Clemens Meyer, inszeniert von Armin Petras und „Westend“ von Moritz Rinke eine hochaktuelle und deutliche Antwort.
Hat die Neupositionierung des DT auch etwas mit der neuen Ausrichtung des Berliner Ensembles unter Oliver Reese zu tun?
Die Frage ist eher im Vorfeld aufgetaucht, weil Reese und ich sehr unterschiedliche Persönlichkeiten sind, aber manchmal ähnliche Interessen haben. Das könnte man auch für die Schaubühne sagen. Das BE unter Reese ist ästhetisch und inhaltlich näher an uns als unter Claus Peymann. Aber Berlin ist riesig! Es gibt eine Reihe von Regisseurinnen und Regisseuren, die für viele Theater interessant sind. Bei uns wird jetzt Ulrich Rasche inszenieren und am BE Simon Stone. Das ist eine fruchtbare Nachbarschaft. Man muss die Dinge halt gut machen, und da bleibt dann nur die Frage, wie man’s hinkriegt.
Die Schaubühne wiederum meldet 97 Prozent Auslastung. Wo stehen Sie?
Wir stehen bei 83 Prozent, und das finde ich für das, was wir alles riskieren, ein richtig gutes Ergebnis. „Ulysses“ oder „Amerika“ sind ja kein Selbstläufer.
Könnten 97 Prozent für ein Haus wie das DT überhaupt ein Ziel sein?
Man kann den Spielplan eines Theaters strategisch so ausrichten, dass es voll wird, klar. Und man kann Vorstellungen absetzen, die unter 80 Prozent Auslastung sacken. Aber wenn man die Spielzeit u.a. mit Thom Luz und „Welche Zukunft!?“ eröffnet, dann ist das ein Risiko. Wir spielen immer noch Produktionen wie „Diebe“, „Demokratie“ oder „Gespenster“. So gibt es eine Reihe von Aufführungen, die sind nicht voll, aber toll! Ich bin schon interessiert am Publikum, ist ja logisch. Aber man muss auch bestimmte Ästhetiken schützen. Wenn’s einen Ehrgeiz gibt, dann wär’s eher der, die 80 Prozent trotz eines riskanten Spielplans zu halten.
Auffällig ist, dass das DT nur noch 26 Premieren plant statt 30 in der vergangenen Saison. War das eine bewusste Entscheidung?
Am DT arbeiten 41 Schauspielerinnen und Schauspieler, die ich immer wieder in den unterschiedlichen Produktionen herausfordern und profilieren will. Ich glaube, dass die arbeitsame Begegnung weitgehend lustvoll sein kann. Manchmal aber wird man zu kurzatmig. Wenn Regisseurinnen und Regisseure zu eng getaktete Arbeitsbedingungen auferlegt bekommen, ist das manchmal ein Problem. Deswegen trete ich jetzt ein bissl auf die Bremse, auch wenn mir das überhaupt nicht entspricht. Ich bin da eher ein Spieler, neues Spiel, neues Glück.
Die Schaubühne macht nur etwa halb so viele Premieren.
Die Schaubühne macht Weltwertarbeit. Das ist immer auf einem bestimmten Level, da wird gefeilt, geraspelt, geölt, schon irgendwie toll. Wir sind riskanter, fallen häufiger auf die Nase, und trotzdem versuchen wir, auf Überforderungen des Hauses einzugehen.
2022 sind Sie 71. Ist dann wirklich Schluss?
Das hängt mit Kraft und Lust zusammen. Kräftemäßig spüre ich nicht, dass ich 67 bin. Ob ich mit 71 dann gar nicht mehr arbeiten mag, muss ich dann mal sehen. Aber fürs DT sind die vier Jahre jetzt eine gute Zeit, auf die ich viel Energie verwende. Ästhetisch und in Sachen Energie ist gerade noch Einiges möglich, das spürt man auch. Darüber hinaus aber haben ich und das Haus ab 2022 Lust auf neue Impulse.