Opernkritik: Im poppigen Geschenkpapier

Opernkritik: Im poppigen Geschenkpapier

Ólafur Elíasson hat Rameaus „Hippolyte et Aricie“ an der Staatsoper verpackt. Bei der Premiere siegt die Musik.

Nebel wabert dicht überm Parkett. Lichtstrahlen brechen hindurch, fächern sich in Regenbogen-Spektralfarben auf. Weiße Strahlen bilden ein Netz, flackern später wie Blitze. Grüne Laserpunkte hetzen über die Wände. Eine riesige Diskokugel aus Glasprismen senkt sich herab, lässt den Raum gelbbläulich aufflackern. Spiegel reflektieren den Saal und seine Gäste, verengen sich dann zu einer rätselhaften Kammer, in der Menschensilhouetten erscheinen und verschwinden.

Nein, wir sind hier nicht in einem von Berlins angesagten Clubs, sondern in der Staatsoper Unter den Linden. Zum zweiten Mal nach Hans Werner Henzes „Phaedra“ 2007 hat Großkünstler Ólafur Elíasson die Ausstattung übernommen. Selber Stoff, ganz andere Oper: In „Hippolyte et Aricie“ steht nicht Phädra im Vordergrund, jene antike Königin, die ihren Schwiegersohn Hippolytos begehrt, aus verschmähter Liebe seinen Tod provoziert, sich dann selbst tötet. Sondern Hippolytos und seine Geliebte Aricia, denen hier ein Happy End gegönnt wird.

Das hat etwas mit der Opernform zu tun, jener Tragédie lyrique, mit der die französische Oper unter Ludwig XIV. sich von der italienischen Konkurrenz abzugrenzen versuchte – große, ernste Stoffe, aufgepumpt mit Mythologie, die Konflikte entschärfenden Schäfer- und Jagdszenen, Tanzeinlagen. Bloß nicht zu viel Drama! Dass Komponist Jean-Philippe Rameau dazu Akkordfolgen wichtiger fand als Melodien, trägt nicht gerade dazu bei, seine Opern populär zu machen.

Wie man sie dennoch zu packen kriegt, demonstrierte Barrie Kosky 2014 mit „Castor und Pollux“ an der Komischen Oper, wo Tobias Kratzer allerdings im vergangenen Jahr „Zoroastre“ zum Gartenzaunkrieg verzwergte. Man muss schon etwas mit diesen durch höchste Kunststrenge gebändigten Gefühlen anfangen wollen, um sie lebendig aufleuchten zu lassen.

An der Staatsoper nun, wo „Hippolyte et Aricie“ von 1733 (in der prologlosen Fassung von 1767) der erste Rameau seit 275 Jahren ist, leuchtet neben Elíassons Lichterspektakel vor allem die Musik. Unter Simon Rattle steuern die Spezialisten des Freiburger Barockorchesters selbstbewusst in selbst heute noch sperrig wirkende Harmonien hinein, lassen sie aufblühen wie exotische Gärten, drängen dann wieder stürmisch vorwärts. Herrlich die Vogelimitationen der Holzbläser, aufwühlend die düsteren Akkordballungen im Hades. In den Tanznummern entwickeln die Freiburger einen derartigen Drive, dass man sofort versteht, warum die Staatsoper als Regisseurin eine Choreografin angeheuert hat.

Doch was Aletta Collins da auf der Bühne arrangiert, bleibt meist so abstrakt und akademisch, wie Rameaus Musik zuweilen auf unsere Ohren wirkt, gerade im Vergleich zur italienischen Oper zwischen Monteverdi und Händel. Die Sänger stehen in Kostümen herum, ebenfalls von Elíasson entworfen, die zwar prächtig schillern oder neonfarben leuchten, ihnen aber kaum Bewegungsfreiheit lassen. Manchmal erschweren sie sogar eine Unterscheidung, wenn im Hades König Theseus, die Furie Tisiphone und Pluto, Gott der Unterwelt, gleichermaßen globusartige Konstruktionen auf den Oberkörpern tragen.

Statt also die Sänger zu bewegen, schickt Collins Tänzer in Schwarz auf die Bühne, die ein Gestenrepertoire irgendwo zwischen Modern Dance und Neoklassizismus entwickeln. Das zündet immer dann, wenn es konkret wird, sich Paare bilden, die Hippolytos und Aricia doppeln, sich als Jäger der über das Titelpaar wachenden Göttin Diana oder als Pflanzen deuten lassen. Aber so, wie Elíassons beeindruckende Atmosphären aus Nebel, Licht und Spiegeleffekten jede andere Oper einwickeln könnten wie ein poppiges Geschenkpapier, wirkt auch der Tanz zu oft beliebig.

Die Möglichkeiten der Sänger, hier Figuren zu schaffen, die einen angehen, sind also begrenzt. Die meisten des langen, edel besetzten Casts wissen sie dennoch zu nutzen. Allen voran Magdalena Kožená als Phèdre, die mit ihrem oft dunkel glühendem, dramatisch gespannten Mezzo alle Emotionen zwischen Hass und Verzweiflung auslotet. Und Gyula Orendt als ihr Gatte Thésée, der ebenfalls hinreißend wüten darf. Manchmal treibt er das bis an die Grenzen des schönen Singens, wenn die Konsonanten härter krachen als der Klang trägt.

Die beiden haben allerdings auch die dankbarsten Rollen, denn die Anderen sind meist mit Säuseln, Jubilieren oder Klagen beschäftigt, was reizend klingt, aber nur bedingt die Charaktere schärft. Anna Prohaska gibt ihrer Aricie ähnlich leuchtende, sanft vibrierende Farben wie Elsa Dreisig der Göttin Diane. Reinoud Van Mechelens Hipollyte spannt mit seinem sehr hellen, manchmal nervös flackernden Tenor weite, sehnende Bögen. Luxuriös besetzt sind viele Nebenrollen wie die drei Parzen (Linard Vrielink, Arttu Kataja, Jan Martiník), die allerdings in Ganzkörperanzügen über die Bühne stapfen müssen zwischen Kunstoffrecycling und weißen Wolken.

Der Staatsopernchor lotet souverän sämtliche Affekte aus, klingt ausgewogen, engagiert bis zum Rausch – hier ist Rameau oft kühner als in den Solopartien. Über weite Strecken müssen die Choristen aus dem Graben agieren, von wo allenfalls ihre albernen Spiegelhüte wilde Reflektionen auf der Saaldecke hinterlassen. Diese Inszenierung glänzt. Aber sie wärmt nicht.