Opernkritik: Wieviel Revolution ist möglich?

Opernkritik: Wieviel Revolution ist möglich?

Tannhäuser – Bayreuther Festspiele – Tobias Kratzer inszeniert Richard Wagners Oper als Konflikt zwischen Revolution und Kunstreligion

Mit diesen Kunstrevoluzzern würde man gerne mal durch die Welt brausen: eine coole, schöne, selbstbewusste Frau Venus am Steuer, neben ihr Clown Tannhäuser, der aussieht, als hätte Ronald Macdonald zu viel gefeiert, hinten die schwarze Dragqueen Le Gateau Chocolat und der Blechtrommler Oscar. In jenem kastenförmigen Citroën, in dem einst Marina Abramovic und Ulay jahrelang unterwegs waren, bringen sie Plakate und Flyer mit den Wagner-Worten „Frei im Wollen, frei im Tun, frei im Genießen“ unters Volk und nieten dabei auch schon mal einen Jägerzaun um. Oder einen Polizisten. Das ist der Tabubruch, bei dem Tannhäuser aussteigt in Tobias Kratzers Inszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf der Wartburg“.

So wie Barrie Kosky vor zwei Jahren in den Meistersingern den Wagner-Clan und dessen Entourage zu Handelnden machte, werden hier die Bayreuther Festspiele selbst zum Motiv: Das Theater ist die Wartburg, das Umfeld, aus dem Tannhäuser stammt. Damit macht Kratzer nicht – wie in Wagners Textbuch – Tannhäusers Unfähigkeit zum Thema, sich zwischen Hure (Venus) und Heiliger (Elisabeth) zu entscheiden. Sondern den Konflikt zwischen Revolution und Kunstreligion.

Bei Wagner verlässt Tannhäuser das endlose Leben von Sex und Lust aus Überdruss. Am Hof der Wartburg konkurriert er beim Sängerwettstreit um Elisabeth. Sie liebt ihn, er liebt sie. Aber als er bei „Deutschland sucht den Superminnesänger“ der Reihe ist, die ideal-keusche Liebe zu preisen, bejubelt er ausgerechnet Venus. Skandal! Die Wartburggesellschaft verstößt ihn, Tannhäuser pilgert nach Rom, aber der Papst nimmt seine Reue nicht an. Am Ende rettet ihn die sterbende Elisabeth durch ihre Fürsprache bei Gott.

Eine Geschichte, die merkwürdig nach Weihrauch riecht und sich für Parodien anbietet – Nestroy und andere haben das genutzt. Dabei steckt schon ein ernster Konflikt darin: Wie viel Revolution ist möglich, wie viel Anpassung ist nötig? Statt Venusberg gibt’s bei Kratzer die diverse, lustbetonte, solidarische Revoluzzer-Künstler*innengemeinschaft, so wie Wagner selbst mal 1848er-Revolutionär war. Für die Wartburg aber steht Bayreuth als Ort einer konservativen Kunstreligion.

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