Opernkritik: Leichen pflasterten ihren Weg

Opernkritik: Leichen pflasterten ihren Weg

Médée – Salzburger Festspiele – Simon Stone erzählt Luigi Cherubinis Medea-Oper als bürgerliche Ehe- und Asyltragödie

Warum tötet Medea ihre Kinder? Weil ihr Vater Jason heißt, singt Médée. Wenn man sich dann aber diese Szene anschaut, eine Tankstelle im österreichischen Nirgendwo, wo der Wagen offenbar liegengeblieben ist, mit dem Medea ihre Kinder entführt hat, ahnt man: aus Ausweglosigkeit. Oder fährt er noch, lässt Medea es also auf eine letzte Begegnung mit Jason ankommen, nachdem sie schon die eine Hälfte seiner Zukunft – seine Braut und deren Vater – umgelegt hat? Ist es also doch Rache am Ex? Als Endszenen einer bürgerlichen Ehe erzählt Simon Stone „Médée“. Diese These ist nicht besonders originell. Aber die Umsetzung! 

Luigi Cherubinis Oper von 1797 macht es Regisseur*innen nicht einfach. Es hat Gründe, dass sie es trotz revolutionärer Musik nie ins Opernkernrepertoire geschafft hat. Unter Hochdruck schildert sie die letzten Stunden des vielfach erzählten (und vertonten) Medea-Dramas. Mit einer damals unerhörten harmonischen Wildheit und emotionalen Düsternis, gebändigt von gesprochenen Alexandriner-Dialogen. Dumm nur: Die Verse killen zuverlässig jede Dramatik.

Deshalb hat sie Stone ersatzlos gestrichen. So kann er auch hier seine Geschichten aus dem bürgerlichen Antiheldenleben erzählen. Bob Cousins hat dafür einen Cinemascope-Streifen auf die Bühne des Salzburger Großen Festspielhauses gebaut und mit schier unendlichen Variationen des typisch Stone’schen Hyperrealismus gefüllt: Brautkleid-Edelboutique, Hotellobby, Bushaltestelle – alle sind sie von verschwenderischer Detaillust ausstaffiert, bestehen oft aus mehreren Räumen, manchmal sogar verschiedenen Zeitzonen. Außerdem wimmeln sie von (Chor-)Menschen, die in ihren eleganten Roben sehr dem Salzburger Publikum ähneln. Wohlstandsmenschen wie Du und ich.

Weiterlesen…