Theaterkritik: Korridor des bourgeoisen Horrors

Theaterkritik: Korridor des bourgeoisen Horrors

Sommergäste – Salzburger Festspiele – Auf der Pernerinsel Hallein zeigt Evgeny Titov Maxim Gorkis Bourgeoisie-Abgesang als geschlossene Gesellschaft

Die sind ja alle verrückt hier! Zappeln und grabbeln, tänzeln wild, harken mit ihren Fingern die Luft. Krallen sich am Fenster fest, wuseln, taumeln oder hängen schlaff in der Ecke, als wolle jemand alle Hospitalismus-Symptome in ein Bild bannen. Dann wieder geistern sie herum wie müde Zombies, die bei aller Überspanntheit merkwürdig lasch wirken.

„Sommergäste“ sollen das sein, also die Figuren jenes Stücks, das bei seiner Uraufführung 1905 deshalb ein Skandal war, weil Maxim Gorki sein Publikum als untätige, ziellose Spießer und Schwätzer spiegelte. Anwälte, Ingenieure, Ärzte öden einander wortreich in der Sommerfrische an, suchen ihr Heil in abgeschmackten Gefühlsprojektionen oder im Seitensprung. Am Ende gelingt es nur Warwara, Frau des Gastgebers, aus der geschlossenen Feriengesellschaft auszubrechen.

Hier reicht es dazu nicht mal bei ihr. Eingesperrt sind diese Salzburger „Sommergäste“ in Raimund Orfeo Voigts schier endlosem Korridor. Drei Mal zieht er langsam am Betrachter vorüber mit seinem Treppauf und Treppab, der 70er-Jahre-Holzvertäfelung, dem Teppichboden. Ein hermetischer Ort, der das Leben nach draußen verbannt. Drei mal aber endet er mit einer Sackgasse, aus der am Ende nur Rjumin entkommt, als er sich eine Kugel in den Bauch jagt.

In diesem Wiederholungssetting plärren und krähen Abziehbilder der gehobenen Mittelklasse ihre Belanglosigkeiten heraus – man trägt elegante Kleidchen und gut sitzende Anzüge zu Sektglas und aufgesetztem Gelächter. Vermutlich sollen das wir sein. Aber die Drittklassigkeit, mit der sich Schauspieler wie Sascha Nathan, Martin Schwab und Thomas Dannemann (die es alle besser können) durch ihre Rollen wurschteln (und es geht hier noch deutlich schlimmer), verbietet jede Identifikation.

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