Theaterkritik: Ändere die Welt

Theaterkritik: Ändere die Welt

Solange es Menschen wie diese gibt, ist Hoffnung: „Nicht auszumalende Landschaften“ beim Adelante-Festival in Heidelberg

Applaus im Theater ist eigentlich der Moment, in dem die Schauspieler*innen loslassen können. Klar, das Adrenalin kickt noch mal so richtig, aber die Anspannung weicht meist Erleichterung, Freude. Erst recht, wenn das Publikum rast und jubelt, aufspringt, mit Tränen in den Augen Richtung Bühne lächelt so wie hier in Heidelberg. Die sechs Mädchen in „Paisajes para no colorear“ (Nicht auszumalende Landschaften) auf der Bühne aber nehmen die Ovationen mit ernsten Gesichtern hin. Sie halten sich ein Auge zu, entrollen ein Plakat: „En Chile se violan los derechos humanos“ (in Chile werden Menschenrechte verletzt). Und immer, wenn sie wieder auf die Bühne kommen, weil der Applaus nicht verebben will, halten sie die Parole wieder hoch.

Sich ein Auge zuzuhalten ist in Chile gerade ein politischer Akt (zu sehen schon neulich zum Festivalauftakt beim Applaus zu „La flauta mágica / Die Zauberflöte“). Denn in Chile herrscht eine politische Krise, gibt es schwere Proteste gegen die soziale Ungleichheit, in deren Verlauf der neoliberale Präsident Sebastián Piñera den Ausnahmezustand erklärte. Etliche Demonstrant*innen verloren in den Kämpfen mit der Polizei ein Auge.

Um Gewalt geht es auch in „Paisajes para no colorear“ (Nicht auszumalende Landschaften): 2016 trug das Teatro La Re-Sentida mehr als hundert Aussagen zusammen von chilenischen Mädchen, die Gewalt ausgesetzt waren. Daraus machten Regisseur Marco Layera, der schon mit etlichen Gastspielen in Deutschland für Aufsehen sorgte, sein Team und sechs umwerfende jugendliche Spielerinnen zwischen 13 und 17 Jahren einen Abend, der seitdem um die halbe Welt tourt. Er erzählt von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung, erzwungener Schwangerschaft (weil die von der Militärdiktatur verabschiedete Verfassung von 1980, die immer noch in Kraft ist, Abtreibungen auch bei Vergewaltigung verbietet). Noch mehr aber macht er deutlich, wie eine ganze Gesellschaft junge Frauen unterdrückt, in starre Rollenmodelle presst, Abweichungen sanktioniert.

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