Theaterkritik: Das Tier in uns
„Die Affen“ in der Schaubühne: Ein Weltuntergangsstück, passend zur derzeitigen Stimmung, das dennoch ein dünner Thesen-Aufguss bleibt.
Gedämpft aufgekratzt ist die Stimmung in der Schaubühne: keine Bussis, kaum Umarmungen, dafür stehen die Premierengäste von „Die Affen“ auch wie sonst in dichten Trauben im Foyer und Café herum. Zwei Meter Abstand? Keine Spur! Drinnen, im kleinen Saal C mit 270 Plätzen (nur wegen der überschaubaren Größe findet die Premiere überhaupt statt), scheint die Klimaanlage noch energischer zu arbeiten als sonst. Vor allem fällt auf: Niemand hustet, niemand niest vernehmlich. Es ist, als wolle sich keiner verdächtig machen in Zeiten des Corona-Virus. Alles im grünen Bereich, keine Sorge, keine Gefahr.
Während das Publikum also verhaltene Normalität demonstriert bei dieser womöglich letzten Berliner Theaterpremiere für die nächsten Wochen, passt das, was da in knapp zwei Stunden über die Bühne geht, durchaus zur allgemeinen Weltuntergangsstimmung. Denn Marius von Mayenburg hat mit „Die Affen“ ein Menschheitsdämmerungsstück geschrieben: Ein Mann namens Rupp fühlt sich zunehmend unwohl in seiner Haut, weil seine (also: unsere) Spezies den Planeten ruiniert hat. Plötzlich wachsen ihm Haare, verwildert seine Sprache, wird er ganz zum Affen. Und nicht nur er: Als wären sie von einer Art Pandemie befallen, verwandeln sich nach und nach alle Menschen in eine Art Naturzustand zurück.
So dystopisch wie fantastisch ist dieser Blick auf die Menschheitskrise, in der wir uns befinden: Klimaerwärmung, Meeresverschmutzung, Artensterben. Und noch immer regiert der Profit, das Höher, Schneller, Weiter, wie von Mayenburg in schlaglichtartigen Szenen demonstriert.
Allerdings zeigt sich einmal mehr, wie schwer es ist, aus politischen Thesen gutes Theater zu machen. Das beginnt schon beim Text: keine echten Figuren, sondern Textabsonderungsautomaten, ewige Monologe, kaum szenisches Futter. Die ausführlichen Problemlage-Beschreibungen wirken wie ein Leitartikel, von Mayenburgs gierigen Profithaie wie aus einem drittklassigen Politikkabarett. Das hat so gar nichts mit dem geschliffenen, doppelbödigen Edel-Boulevard zu tun, den von Mayenburg in seinen besten Arbeiten abgeliefert hat wie „Perplex“ und „Stück Plastik“.
Die Sache wird dadurch nicht besser, dass von Mayenburg an der Schaubühne einmal mehr sein eigener Regisseur ist. Denn abgesehen von Sébastien Dupoueys detailfreudigem Müllklops, der mitten auf der Bühne thront und Zivilisationsabfälle mit Naturwucherungen verbindet, passiert hier wenig aufregendes. Vier Schauspieler, die allesamt so viel mehr können, entlassen die mauen Sätze wie Fremdkörper aus ihren Mündern. Meist stehen sie herum. Es sei denn, sie verwandeln sich in Affen: Dann merkt man plötzlich, wie genau der Sprachverfall und die tierischen Gesten gearbeitet sind, für die eigens ein Bewegungstrainer engagiert wurde. Zur Weltuntergangsstimmung tragen auch die Bilder bei, die über die Monitore im Müllklops und im Hintergrund flackern, etwa von Hochhäusern, zwischen denen Quallen schwimmen.
Dass das Stück zwischen innerfamiliären Spannungen (radikaler Vater, dämliche Mutter, missratene Kinder) und globalisierten Profitbaustellen pendelt, macht die Sache nicht klarer – man hört den Szenenwechsel eher aus den Sätzen, als dass man dem Spiel Genija Rykovas und Mark Waschkes den Wandel vom Kind zum Kapitalisten ansähe. Aber auch Robert Beyer, dessen Vater als erstes das Tier in sich entdeckt, kennt im Wesentlichen nur einen Erregungston. Jenny König muss eine egoistische Gattin nölen, die allen aktuellen Bemühungen, spannendere Frauenfiguren für die Bühne zu erfinden, Hohn spricht.
So ist das alles nicht nur platt gedacht, sondern auch noch ziemlich fad. Nur ein einziges Mal gibt es einen berührenden Moment: Da verwandelt sich Rykovas Tochter in einen Affen, verliert beim Reden die Sprache, lässt Königs Mutter allein zurück. Wie Rykova hier Einsicht und Argument – vielleicht ist es für den Menschen klüger, den Verstand zu verlieren, um zu überleben – mit Abschiedsschmerz verbindet, ist groß.
Am Ende herrschen die Affen überall, sprachlos. Sie schlendern auf allen Vieren herum, richten sich auch mal auf, hangeln sich an dem Müllkloß empor. Sie rotten sich zusammen, lausen einander das Fell, kreischen laut auf. Einmal trommelt sich das Alpha-Männchen mächtig auf die Brust, verdrängt den Konkurrenten aus dem Rudel – bis der zurückschlägt und das Alpha-Männchen tötet. Und nun? Jault er melancholisch den Nachthimmel an. Heißt wohl: Zurück zu den Wurzeln ist ebenfalls keine Lösung, denn auch hier gibt’s Mord und Totschlag, Konkurrenz und Geschrei. Aber vielleicht ist dieser Gesang an den Mond schon der erste Schritt zurück zur Kultur?
Das wirklich Tragische an diesem Abend ist, dass er eigentlich das FIND-Festival an der Schaubühne hätte eröffnen sollen. Dessen hochkarätige Gastspiele wären locker in der Lage gewesen, diesen dünnen Thesen-Aufguss vergessen zu machen. So bleiben „Die Affen“ ziemlich maues Rüstzeug für die vermutlich theaterlosen nächsten Wochen.