Theaterkritik: Friedrich Engels war auch nur ein Hipster
Die Weber – Schauspiel Wuppertal – Martin Kindervater verlegt Gerhart Hauptmanns Arbeiterdrama in ein Warenlager
Wer eine Imagekampagne braucht, hat meist Dreck am Stecken. Das Unternehmen XXX zum Beispiel: Der an Amazon angelehnte Konzern hat im Wuppertaler Opernhaus ein Logistikzentrum errichtet und ist offenbar der größte Arbeitgeber vor Ort. Wenn der einen Trailer voranschickt, in der zur penetrant fröhlichen Musik Angestellte und Bürger*innen versichern, dass XXX ein toller Arbeitgeber ist und Wuppertal – anders als erwartet – besser macht als erwartet, ist Skepsis angebracht. Wie sich auf der Bühne mit ihren Paketstapeln, Sackkarren und Transportregalen schnell zeigt: Das Unternehmen lebt von der Ausbeutung seiner Mitarbeitenden, überwacht sie per Kamera, schikaniert sie, und entlohnt sie mies. Ein weiteres Video zeigt, wie Thomas Braus‘ alter Baumert mit den Paketen durch die Stadt hetzt und auf dem Heimweg wehmütig John Lennons „Working Class Hero“ mitsingt.
Einen ziemlich großen Aufwand betreiben Regisseur Martin Kindervater und Dramaturgin Barbara Noth, um Gerhart Hauptmanns naturalistisches Drama „Die Weber“ von 1892 über erst hungernde, dann sich erhebende Textilarbeitende ins Wuppertal 2020 zu holen. Sie haben neoliberale Slogans erfunden und Hauptmanns Fabrikantensätze mit Unternehmersprech aufgepeppt. Chef Dreißiger sieht bei Alexander Peiler mit angeklebtem Vollbart und Herrendutt aus wie eine Mischung aus Friedrich Engels und Hipster, Engels‘ von der Oper nur einen Steinwurf entferntes Geburtshaus wird zur Fassade des Dreißer’schen Anwesens. Außerdem kippt manchmal das sperrige Schlesisch ins Wuppertaler Platt.