Theaterkritik: Liebesgrüße aus Montevideo

Theaterkritik: Liebesgrüße aus Montevideo

Nachts im Ozean – Anhaltisches Theater Dessau – Michel Decar bringt sein Stück in einer Geisterpremiere selbst zur Uraufführung

Was wird hier erzählt? 1. Ein Dramatiker fliegt nach Montevideo in Uruguay, um sich die Uraufführung seines Auftragswerks anzuschauen, verheddert sich aber stattdessen in der Stadt. 2. Eine Geheimagentin reist ihm hinterher, weil sie ihn für einen Platin-Schmuggler hält, geht aber ebenso in der Unmenge an Spuren verloren. 3. Ein vermeintlicher Theaterdirektor lässt durchblicken, dass die Uraufführung eine reine Sponsoren-Abzocke war und nie stattgefunden hat.

Aber ist das wirklich so? Was tatsächlich geschieht, ist auch nach gründlichem Textstudium nicht so leicht zu ergründen. Denn einerseits lässt Michel Decar dieselbe Geschichte von drei Menschen sehr verschieden erzählen – da werden je nach Sichtweise aus einem Souvenir ein Geheimsymbol, aus einem kleinen Frühstück ein dekadentes Gelage, aus Arbeitsbeziehungen erotisch aufgeladene Dreiecksgeschichten. Andererseits sind die Monologe durch zahlreiche Motive und Figuren miteinander verknüpft und drehen sich ohnehin um die großen Themen Liebe, Begehren, Tod. Decar schreibt seine dramatischen Texte ja schon länger in einer Art magischem Realismus, wo eine konkrete Situation jederzeit in Traumlogik kippen kann.

„Nachts im Ozean“ ist das erste Stück, das der Autor selbst inszeniert (jedenfalls nach seinen Erstlingen an der Uni-Studiobühne). Die Uraufführung am Anhaltischen Theater passt in ihrer Absurdität zum Text: Wegen Corona dürfen nur eine Handvoll Kritiker*innen und wenige Mitarbeitende ins Dessauer Haus. Einzeln hocken sie auf der geräumigen Bühne und blicken über die Spielfläche in den riesigen Saal: Weil die Nebenspielstätte nicht coronatauglich ist, dient diese „Raumbühne“ vorübergehend als Lösung für die kleineren Projekte.

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