Kommentar: Warum? Darum!

Kommentar: Warum? Darum!

Georg Kasch über die queere Initiative #actout und das gemeinsame Coming out von 185 deutschsprachigen Schauspieler*innen

Warum tun sie das? Warum outen sich im Jahr 2021 gemeinsam 185 deutschsprachige Schauspieler:innen als lesbisch, schwul, bisexuell, queer, nicht-binär und trans*? Ist das wirklich nötig, 30 Jahre nach Rosa von Praunheims Zwangsouting von Hape Kerkeling, 20 Jahre nach dem Gesetz über die Eingetragene Lebenspartnerschaft, gut drei Jahre nach der Ehe für alle? In einer Zeit, in der sich in der freien Szene gefühlt jedes zweite Projekt als queer labelt, es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen lesbische und bisexuelle Tatort-Kommissar:innen gibt und auf Netflix kaum eine Serie ohne queeren Charakter?

Unbedingt!

Natürlich gibt es andere gesellschaftliche Bereiche, wo ein Coming out größere Erschütterungen auslösen würde, der Profifußball und das Management großer Konzerne zum Beispiel. Aber so liberal, wie sie gerne tut, ist insbesondere die Film- und Fernsehbranche nicht. Darauf weist das mit dem Massen-Coming-out lancierte #actout-Manifest hin. In ihm ist von Agent:innen, Caster:innen, Kolleg:innen, Produzent:innen, Redakteur:innen, Regisseur:innen die Rede, die queeren Schauspieler:innen nahelegen, dass, wenn „wir gewisse Facetten unserer Identität, nämlich unsere sexuelle sowie Geschlechtsidentität offenlegten, wir mit einem Mal bestimmte Figuren und Beziehungen nicht mehr darstellen könnten. Als wäre deren Sichtbarkeit unvereinbar mit unserer Fähigkeit, Rollen überzeugend und glaubhaft für das Publikum zu verkörpern.“

Das Ideal des weißen Blattes

Dass die Branche da so erstaunlich konservativ tickt, hat etwas mit der Determiniertheit von Körpern zu tun. Wieder einmal hilft – wie schon beim Thema Cripping up – Carrie Sandahls Aufsatz „The Tyranny of the Neutral“ weiter. Darin schreibt sie über den spätestens seit Konstantin Sergejewitsch Stanislawski propagierten neutralen Schauspieler:innen-Körper: Wie ein weißes Blatt soll er sein, weil schon kleinere Abweichungen von der Norm prompt die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Deshalb, so Stanislawski, müsse ein Schauspieler einen Körper besitzen, der nicht in besonderer Weise lesbar ist, bevor er zu spielen, zu verkörpern beginne.

Dabei hat Norm übrigens nichts mit Durchschnitt zu tun. Sondern immer noch damit, wie die Produzierenden von Film und Fernsehen sich vorstellen, dass die Mehrheit in Deutschland, Österreich und der Schweiz sich selbst gerne repräsentiert sieht. Analog denken viele Schauspielschulen immer noch, einen Markt bedienen zu müssen, statt ihn zu verändern.

Deshalb sind so viele Schauspieler:innen einerseits normschön, groß, schlank. Und andererseits klar als männlich, weiblich, heterosexuell lesbar. Anders als etwa viele Menschen mit Behinderung oder BIPoC haben queere Schauspieler:innen die Chance, als cis und hetero durchzugehen. Man nennt das „passing“. Weil sie es theoretisch können, wird es praktisch so oft von ihnen verlangt. So wie queeren Flüchtenden bis heute immer wieder nahegelegt wird, sie könnten in ihrem Herkunftsland ihre sexuelle Identität doch einfach verschleiern.

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