Essay: Luft nach oben in der Traummaschine Oper
Kürzlich haben sich im #actout-Manifest 185 Schauspieler und Schauspielerinnen als queer geoutet. Ist das ein Vorbild für die Oper? Oder ist die nicht eh schon queer genug? Unser Autor findet: Es ist schwierig!
Braucht’s das noch? Als sich Anfang Februar 185 teils ziemlich prominente Bühnen-, Film- und Fernsehschauspieler im Magazin der Süddeutschen Zeitung als schwul, lesbisch, bisexuell, trans oder non-binär outeten, war der Tenor: Ja, das braucht’s. Denn die zwei zentralen Forderungen des #actout-Manifests, das das Coming-out begleitete, sind offene Baustellen. Zum einen der Umstand, dass insbesondere in Film und Fernsehen offen queere Schauspieler zu selten für romantische heterosexuelle Konstellationen in Betracht gezogen werden. Entscheider trauen dem Publikum offenbar nicht zu, die Rolle vom Privatleben der Schauspieler zu trennen. Zum anderen ging es um die Tatsache, dass Figuren, die schwul, lesbisch, bisexuell, trans oder non-binär sind, im Film und auf den Bühnen noch Mangelware sind. Vor allem Figuren, deren Lebensinhalt oder Konflikte sich nicht darin erschöpfen, queer zu sein. Beide Anliegen können gut einen Anschub gebrauchen.
Auch im Musiktheater? 185 Sänger*innen, die ebenfalls sagen: „Wir sind schon da“, müssten ja zu finden sein. Aber würde es die Opernwelt verändern? Die Sache ist kompliziert. Denn Oper ist per se queer – also merkwürdig, verdreht, eigenartig, so die ursprüngliche Bedeutung des Worts. Oder, wie es Oscar Bie 1913 in seinem Buch „Die Oper“ gleich im ersten Satz formulierte: „Die Oper ist ein unmögliches Kunstwerk.“ Weil sie voller Widersprüche steckt: Sie „ist die Einbildung, daß es möglich ist, stundenlang eine zusammenhängende Musik zu schreiben, dass einige Noten dieser Musik von Sängern zu einem richtigen Drama als Wortunterlage gesungen werden, teilweise sogar alle untereinander, dass das begleitende Orchester seine Selbständigkeit trotzdem wahrt, dass das alles auf einer Bühne wirklich gemacht wird mit Dekorationen, Indispositionen, Eifersüchteleien und Balletten, dass dieser ganze Apparat im Verhältnis zum Publikum, welches ja im Grunde unmusikalisch ist, ein gutgehendes Rechenexempel wird und dass endlich, nachdem man alle diese Schwierigkeiten eingesehen hat, sich noch Leute finden, die eine Oper komponieren.“
Allein die äußerst naturferne Grundkonstellation, dass Menschen singen statt zu sprechen und für dieses Singen höchst kunstvoll geschulte Stimmen benötigen, ist queer. Weil Rollen und Ausführende nichts miteinander zu tun haben müssen. Wo Stimmfach, -material, -farbe ausschlaggebend für eine Besetzung sind, spielen Geschlecht und Aussehen eine untergeordnete Rolle. Und auch, wenn in den letzten Jahrzehnten Attraktivität und Spiellust wichtiger geworden sind, so ist es doch bis heute kaum vorstellbar, Cherubino mit einem Knabensopran zu besetzen statt mit einem Mezzo, nur damit Geschlecht von Figur und Darsteller übereinstimmen.
Das Prinzip der Hosenrolle ist ja nur eines von vielen „unmöglichen“ Operneigenheiten. Wer Wahrscheinlichkeit erwartet, Logik, Eindeutigkeit, wird mit der Oper nicht glücklich. Wenn Frauen, die junge Männer spielen, sich wiederum als Frauen verkleiden (wie bei Mozart und Strauss), ist das mindestens eine Umdrehung zu viel – und zugleich wunderbar! Die Oper kennt dutzende dieser Konstellationen, dank Kastratenrollen, die von Frauen übernommen werden, dank der barocken Ammen mit Bassregister, aber auch dank des 20. Jahrhunderts, in dem Péter Eötvös etwa seine „Tri sestri“ für drei Countertenöre schrieb.