Theaterkritik: Unser Erbe der Konquistadoren

Theaterkritik: Unser Erbe der Konquistadoren

Thomas Köck schreibt weiter an seinem Herzensthema: die Globalisierung und ihre blutverschmierte Menschheits-Spur. „Eure Paläste sind leer (all we ever wanted)“ heißt sein neues Stück, das Jan-Christoph Gockel an den Münchner Kammerspielen zur Uraufführung bringt.

Da sitzen sie auf ihren Klappsesseln, lehnen sich über die Balkonbrüstung und sehen uns lange schweigend an: acht Zuschauende in zunehmender Erregung. Sie lachen, weinen, jubeln „Ja!“, stöhnen „Nein“, seufzen, rasten aus, hüpfen auf ihren Sitzen herum. Einmal springt Christian Löber von seinem Sitz auf, weist mit dem Arm pathetisch ins Parkett. Katharina Bach lässt sich gar vor Begeisterung von der Galerie herabbaumeln. Nur Michael Pietschs Kritiker blickt regungslos und leicht genervt.

Das sind ja wir! Julia Kurzweg hat den Zuschauerraum der Münchner Kammerspiele auf die Bühne verlängert, namentlich den geschwungenen Rang und zwei Logen, schön angebröckelt und verrammelt. Eine Ruine ist’s wie jene Prunkgemache, die Thomas Köck in seinem neuen Stück „Eure Paläste sind leer (all we ever wanted)“ besingt. Einmal mehr wogt Köcks hochmusikalische Sprache in Versen ohne Punkt und Komma als großer Klage- und Abgesang auf die menschliche Hybris. Tourguide ist diesmal der antike Seher Teiresias, Gestalten- und Geschlechterwandler:in mit Jahrtausende alter Lizenz zum Orakeldeuten und Beraten. Elegisch führt er uns durch die Trümmer einstiger Paläste hinein ins Herz der Finsternis: der Gier, dem Expansions- und Selbstzerstörungsdrang der Menschen.

Eine „missa in cantu“, eine (vom Priester) gesungene Messe, nennt Köck sein Stück im Untertitel. Entsprechend musikalisch lässt Jan-Christoph Gockel seine Uraufführung an den Kammerspielen rauschen. Anton Berman und Maria Moling (die sich auch überzeugend als Spieler:innen einmischen) weben am melancholischen Soundtrack, er an Pult und Keyboard, sie am Schlagzeug; manchmal greift Löber zur E-Gitarre und Bach zur Trompete. Dazu kommen Tracks aus dem Autoradio; einmal seufzt und braust Richard Wagners Vorspiel des dritten „Tristan“-Akts und kitzelt die ohnehin schon auf Weltuntergang gestellten Nerven.

Die Musik hält den Abend so zusammen wie der musikalische Sprachrhythmus Köcks Stück. Denn das verknüpft etwas lose Teiresias‘ Sehen, ohne zu Handeln (was ihn sehr zeitgenössisch wirken lässt, ihn zu unserem Geschwister macht) mit den Konquistadoren im heutigen Brasilien anno 1550 und der Opiat-Krise in den USA heute. Wo Köck große, elegische Bögen baut, Requiem, Mess-Liturgie und Dantes „Göttliche Komödie“ nutzt, um die Themen qua Form zu bändigen, will Gockel pralles Theater. Dafür sampelt er etliche Teile neu, verschiebt etwa die einleitende Liebesklage, die das Private und das Politische verknüpft, auf später, wo sie als ein ziemlich lustiger Jammerexkurs von Wohlstandseuropäern im zugequalmten Golf wieder auftaucht.

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