Opernkritik: Verführung ins Jenseits

Opernkritik: Verführung ins Jenseits

Regisseur Vincent Huguet vollendet an der Staatsoper mit Mozarts “ Don Giovanni“ seine Da-Ponte-Trilogie

Der Bösewicht ist tot und alles gut? Am Ende sitzt Don Giovanni fröhlich grinsend in der Ecke und schaut den Überlebenden dabei zu, wie sie seine blaue Verführungs-Bowle austrinken, die er ihnen als letztes vergiftetes Geschenk aus dem Jenseits überreichen lässt. Könnte also gut sein, dass das Begehren, Verführen und Fremdgehen mit ihm nicht gestorben sind, sondern in Zukunft weitergehen, auch wenn die anderen noch so harmonisch den Sieg der Moral besingen.

An der Staatsoper hat Regisseur Vincent Huguet mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ jetzt seine Da-Ponte-Trilogie vollendet. Seine Grundidee ist, dass die drei Opern von jeweils anderen Phasen des Lebens erzählen: „Così fan tutte“ von den Liebeswirren der Jugend, „Die Hochzeit des Figaro“ von den Herausforderungen des Erwachsenseins, „Don Giovanni“ von der Flucht eines alternden Mannes in einer Welt voller Widersprüche. Huguet hat sich dabei von „Sexualität und Wahrheit“ des Philosophen Michel Foucault inspirieren lassen.

Wie in den anderen Teilen sieht man von tieferen Gedanken allerdings wenig. Huguet versetzt die Geschichte um einen Verführer, der am Ende in der Hölle landet, weil er sein Mordopfer verspottet, ins Heute: Don Giovanni ist ein Modefotograf im schicken Betonloft, der seine Machtposition dafür ausnutzt, möglichst viele gutaussehende Frauen ins Bett zu kriegen. Den Komtur bringt er aus Versehen um, und wenn Don Ottavio am Handy seine Freunde zu Hilfe ruft, rückt die Polizei an. Am Ende begegnet Giovanni dem toten Komtur in einer Mischung aus Leichen- und Trauerhalle, in der die Mitarbeiter erst das Mordopfer präparieren und später Giovanni ein tödliches Gift injizieren.

Das bringt ein paar schöne Ideen mit sich wie in der Registerarie, in der Leporello nicht etwa zum gleichnamigen Notizbuch greift, um Donna Elvira von all den Frauen zu berichten, die sein Chef rumgekriegt hat. Sondern zum Tablet, auf dem die Fotos lauter perfekt abgelichteter Modells und Schauspielerinnen gespeichert sind – Elvira selbst ist eine davon.

Solche gelungenen Einfälle können aber nicht überdecken, dass das Regiekonzept schnell an seine Grenzen kommt. Unbeholfen pendelt der Abend zwischen realistischen und symbolhaften Szenen, ohne eine verbindende Sprache zu finden. Außerdem zerdehnt und zerpoltert Huguet mit ungeschickt getimten Umbauarbeiten Szenenfolgen und ganze Arien. Manche gute Idee wie die, dass Donna Elvira sehr wohl weiß, dass sie mit dem als Don Giovanni verkleideten Leporello anbandelt, verläuft im Sand und hat kaum Folgen für die Rollengestaltung.

Auch mit Mozarts Musik gerät die Inszenierung zuweilen in Konflikt, die oft mehr erzählt, als Huguet uns glauben machen will. Anders als noch im „Figaro“ geht Daniel Barenboim sie mit seiner Staatskapelle ziemlich langsam an, manchmal geradezu behäbig. Das klingt wie auf alten Aufnahmen und hat den Vorteil, dass etwa die herrlichen Details in den Bläsergruppen in aller Schönheit erstrahlen. Nur kommen jene Momente im „Don Giovanni“, die direkt ins Rückenmark zielen, hier überhaupt nicht zur Geltung. So richtig frisch wirken nur die Cembalo-Rezitative, in denen die Sänger die Grenze zum Sprechen meisterhaft ausloten.

Bleiben die Solisten, größtes Pfund dieser Premiere. Michael Volle, längst bei Wagner und Strauss zu Hause, ist über seinen Don-Giovanni-Zenit klar hinaus. Aber das ist so gewollt: Er soll ja ein alternder Lebemann sein, dem allmählich die Zügel entgleiten. Entsprechend stark wirkt sein sonorer, an den Rändern angerauter Bariton, wenn er kraftmeiert, buhlt, poltert – und da, wo eine Ahnung in ihm aufsteigt vom nahenden Ende, er seiner Stimme grandiose Fahlheit verleiht. Wenn es aber schlicht und liedhaft wird wie in der berühmten Serenade, klingt seine Stimme rau, gepresst.

Um ihn herum hat die Staatsoper ein Ensemble junger Stimmen versammelt, die so frisch und neugierig an ihre Rollen gehen, dass es die reine Freude ist. Elsa Dreisig etwa, Ensemblemitglied mit steiler Karrierekurve, macht trotz der maßvollen Tempi in ihren Wutarien deutlich, dass hinter aller Enttäuschung auch jede Menge wiederentflammbarer Leidenschaft steckt – und dass Gefühle nicht eindeutig zu haben oder gar logisch zu erklären sind. Stimmlich geht sie auch mal ins Risiko, zeigt sich angreifbar, verletztlich. Großartig! Ähnliches gilt für Slávka Zámečníková als Donna Anna, die mit ihrem silbern leuchtenden Sopran durchblicken lässt, wie komplex ihre Lage ist zwischen Rache am Vatermörder, Mitschuld und Leidenschaft für einen Verführer, der so unendlich viel interessanter ist als der langweilige Verlobte. Don Ottavio ist auch bei Bogdan Volkov der Spießer, als der er oft gezeigt wird, einer, der viel redet und wenig handelt. In der Mittellage gelingen ihm dabei überzeugende Momente, in der Höhe wird’s eng. Serena Sáenz‘ Zerlina klingt so frisch und schillernd wie David Oštrek als Leporello sonor. Und bei Riccardo Fassis Leporello, der ja als gelehriger Schüler seines Meisters angelegt ist, wünscht man sich trotz einiger verrutschter Töne, er möge doch gleich die Titelrolle übernehmen (die er andernorts längst singt) – so verführerisch sind seinen warmer Klang und sein Spiel. Das nämlich können sie alle: sich bewegen, sich hineinfressen in ihre Rollen. Schade nur, dass die nicht klarer gearbeitet sind. Dann hätte auch ohne philosophische Tiefe aus diesem „Don Giovanni“ ein zumindest wirklich unterhaltsamer Abend werden können.