Vorbericht: Ein Ring zum 80. Geburtstag

Vorbericht: Ein Ring zum 80. Geburtstag

Die Staatsoper Unter den Linden bringt zu Ehren von Daniel Barenboim eine Neuproduktion von Richard Wagners Opernzyklus heraus

Was schenkt man einem Musiker zum 80. Geburtstag? Im Fall von Daniel Barenboim ist die Sache klar: Er bekommt ein Festkonzert und einen ganzen Opernzyklus. Vom 2. bis zum 9. Oktober bringt die Staatsoper unter Barenboims musikalischer Leitung eine Neuproduktion des kompletten “ Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner heraus – in nur einer Woche. Nach zwei Wiederholungen (eine dritte folgt bei den Festtagen im April) richtet die Staatskapelle ihm am 15. November das Geburtstagskonzert in der Philharmonie aus, dirigiert von Barenboims altem Freund Zubin Mehta, selbst schon 86. Was für Barenboim keine Pause bedeutet: Er übernimmt die Soloparts in Beethovens drittem und Chopins erstem Klavierkonzert.

Er hat es so gewollt. Musik ist schließlich sein Leben. Seit er acht Jahre alt ist, steht er auf den Konzertpodien der Welt, lange Zeit vor allem als Pianist, später zunehmend als Dirigent. 2022 rundet sich allerdings nicht nur Barenboims Geburtstag, sondern auch sein Engagement an der Staatsoper. Seit 1992 ist er künstlerischer Leiter und Generalmusikdirektor, 2000 wurde er zum Chefdirigenten auf Lebenszeit gewählt.

30 Jahre lang also prägt er schon das Haus Unter den Linden, und das oft nachhaltiger als die fünf Intendanten, die seitdem kamen und gingen. Sehr wahrscheinlich, dass er auch einen sechsten erlebt – der aktuelle Intendant Matthias Schulz wechselt im Sommer 2025 nach Zürich, Barenboims aktueller Vertrag gilt bis 2027. “ Für die Institution ist er ein Glücksfall gewesen, ein perfektes Match, um die Staatsoper nach der Wiedervereinigung wieder zu einem international wahrgenommenen Haus zu machen“ , sagt Schulz im Gespräch mit der Morgenpost. Allerdings betont er auch, dass sich das Haus in den letzten Jahren breit aufgestellt habe, mit vielen namhaften Dirigenten wie Emmanuelle Haïm, Antonio Pappano und Simon Rattle, aber auch mit den Barocktagen, Uraufführungen, der Reihe Linden 21 mit einem Schwerpunkt auf neuen Formen des Musiktheaters, mit einem ausgebauten Education-Projekt, zum Beispiel dem Opernkinderorchester und einer Drittmittelabteilung, die zusätzliches Geld für das Haus einwirbt. Eine Aufgabe, die lange Zeit Barenboim mit seinen Kontakten in die Politik übernommen hatte.

Schulz‘ Perspektivverschiebung weg von Barenboim hin zum Haus hat vielleicht auch mit der Kritik zu tun, die 2019 laut wurde. Von einer “ Atmosphäre der Angst“ in der Staatskapelle war die Rede, von psychischen, auch körperlichen Grenzüberschreitungen. Die Sache verlief im Sande. Schulz‘ Betonung, wie breit das Haus aufgestellt ist, dürfte auch daran liegen, dass Barenboim nicht ewig da sein wird und die Staatsoper für die Zeit danach gerüstet sein muss.

Barenboims Leistungen für das musikalische Berlin im Allgemeinen und für die Staatskapelle im Besonderen sind ohnehin unumstritten. Erst recht sein Werben darum, klassische Musik nicht nur einer Elite, sondern allen nahebringen zu wollen mit den Freiluft-Konzerten und -Übertragungen bei Staatsoper für alle oder mit dem West-Eastern Diwan Orchestra in der Waldbühne. Er holt die großen Stars wie Anna Netrebko, Cecilia Bartoli und Martha Argerich und Pult-Legenden wie Zubin Mehta und Simon Rattle nach Berlin. Und er hat ein untrügliches Gespür für junge Talente – die Liste der Stars, die ihre Karriere hier begonnen oder einen entscheidenden Schub bekommen haben, ist lang.

Der neue “ Ring“ sei ihm also gegönnt, wiewohl Schulz einschränkt, dass er ursprünglich nicht als Geburtstagsgruß gedacht war, sondern schon seit 2016 in Planung ist. Erst durch den Herheim-“ Ring“ , der im vergangenen Jahr an der Deutschen Oper herauskam und mit dem man sich nicht überkreuzen wollte, landete er in Barenboims Jubiläumsjahr. Dass Dmitri Tcherniakov die Regie übernimmt – nach Harry Kupfer in den 1990ern und Guy Cassier ab 2010 – sei “ ein Wunsch von allen Seiten“ gewesen, so Schulz. Tcherniakov verlegt den “ Ring“ in ein Forschungsinstitut, in dem Wotan als Unternehmensgründer agiert.

Seit Januar laufen die Proben – was notwendig ist, weil auch für ein so großes Haus wie die Staatsoper ein kompletter neuer “ Ring“ -Zyklus in nur einer Woche mit seinen vier oft ausufernden Teilen mit insgesamt knapp 16 Stunden Spieldauer eine ungeheure logistische Herausforderung bedeutet. “ Das geht nur dank langfristiger, guter Planung“ , sagt Schulz. “ Die Probenplanung gleicht einem Storyboard.“ Die Besetzung klingt vielversprechend: Michael Volle singt Wotan, Anja Kampe Brünnhilde, Andreas Schager Siegfried, Johannes Martin Kränzle Alberich.

Nach dem “ Ring“ übernimmt Barenboim nur noch Repertoirevorstellungen und Konzerte, etwa Beethovens Neunte zum Jahreswechsel oder dessen “ Missa solemnis“ zu den Festtagen. Zudem reist er mit der Staatskapelle zu Gastspielen nach Asien, Wien und Paris. Die Staatsoper zeigt nach dem “ Ring“ -Kraftakt fünf weitere Premieren im Großen Saal – was nur möglich ist, weil zwei schon zu Corona-Zeiten produziert wurden. Die Barocktage bringen Antonio Vivaldis “ Il Giustino“ unter René Jacobs und Wolfgang Amadeus Mozarts Frühwerk “ Mitridate“ unter Marc Minkowski. Später kommen noch Mozarts “ Idomeneo“ dazu, dirigiert von Simon Rattle und “ Die schöne Müllerin“ , ein Projekt frei nach Franz Schuberts Liedzyklus von Puppenbauer Nikolaus Habjan und der Musikbanda Franui – ohne Staatskapelle, die auf Tournee ist. Die neben dem “ Ring“ gewichtigste Premiere dürfte Richard Strauss‘ eher selten gespielte “ Daphne“ sein – Romeo Castellucci inszeniert hier zum zweiten Mal eine Strauss-Oper.