Theaterkritik: In der Bestattungsfabrik

Theaterkritik: In der Bestattungsfabrik

Nora Abdel-Maksoud bestätigt ihren Ruf als großartige Autorin und Regisseurin von Komödien: „Rabatt“ am Gorki

Was passiert eigentlich, wenn man in Berlin sehr arm ist und stirbt, es also niemanden gibt, der die Beerdigung bezahlen kann? Dann greift die ordnungsbehördliche Bestattung: Krematorium, Urnen-Gemeinschaftsanlage, keine Bekanntmachung, kein Raum des Erinnerns. 2017 hat die Autorin Francis Seeck in ihrem Buch „Recht auf Trauer“ den würdelosen Umgang bei diesen Bestattungen kritisiert, die Menschen ohne Angehörige treffen – und Menschen ohne Geld.

Mit „Rabatt“ gibt’s jetzt das Stück dazu. Allerdings ohne Trauerrand. Denn Nora Abdel-Maksoud, die am Maxim Gorki Theater bereits zwei großartige Komödien geschrieben und inszeniert hat („The Making-of“ und „The Sequel“), ist Expertin für Timing und beißenden Witz. In „Rabatt“ erzählt sie von der Journalistin Dena, die ihr Geld mit extremen Thesen verdient. Weil der Lieferando-Fahrer, der ihr Sushi liefern sollte, tot vor ihr zusammenbricht und mit ihm auch ihr Kissen mit Geld verschwindet, landet Dena in einer Bestattungsfabrik vor den Toren Berlins, wo das Massengrab beschönigend „Wiese der Vielen“ heißt. Dort machen zwei Brüder mit ihrem riesigen Leichenkühlhaus und Beerdigungen am Fließband richtig Kohle. Davon profitiert ihr Dorf – dennoch werden sie gehasst.

Die Handlung ist noch viel vertrackter, schlägt wilde Haken und mündet in eine unerwartetes Finale. Da gibt es Denas Assistentin Luigi, die nicht lügen kann, nicht mal auf dem Amt. Da ist der Lieferando-Fahrer Davide, der sehr bald stirbt, sich aber vom Jenseits aus in die Diskussionen einmischt. Und da sind die Bestatter-Brüder Dirk und Anselm, bei denen man nicht viel Fantasie braucht, um sich vorzustellen, warum keiner sie mag.

Gerade weil Handlung und Figuren gelegentlich nur knapp am Absurden Theater vorbeischrammen, passt es gut, dass Abdel-Maksoud ihr Stück in einem Raum inszeniert, der durch und durch Theater ist: ein blau leuchtender Kasten, der sich nach hinten stark verjüngt und links und rechts viele Türen für Auf- und Abtritte besitzt. Herrlich, wie die Figuren hier rein- und rausstolpern, sich dabei gegenseitig Türen ins Gesicht rammen und einander aus versehen abknallen. Die Bestatter-Brüder hat Abdel-Maksoud in Anspielung auf einen Wild-West-Kapitalismus nämlich als Cowboy-Karikaturen angelegt (Kostüme: Katharina Faltner), die mit Revolvern herumfuchteln und so tun, als könnten sie auf ihrem Territorium machen, was sie wollen.

Neben den schnellen Dialogen und scharfen Pointen lebt der hochtourige, 80 Minuten kurze Abend vor allem von seinen Spielern. Orit Nahmias, längst die Komik-Königin des Gorki, erweist sich in der Rolle der Denglisch sprechenden Dena einmal mehr als Meisterin der Pausen und Blicke. Sie ist ja so etwas wie die Grumpy Cat des Theaters – wenn dann doch mal ein Lächeln aufblitzt, sollte man in Deckung gehen. Insofern ist die zynische Journalistin bei ihr in den besten Händen. Wenn sie die Techniker anherrscht, weil die Spots nicht schnell genug angeknipst werden oder den Souffleur, weil sie den Text vergessen hat, weiß man nie, ob das jetzt improvisiert oder inszeniert ist. In jedem Fall ist es genial.

Ihrem Gewissens-Gegenspieler Davide verleiht Taner Şahintürk eine gedrungene Körperlichkeit, in der all die Last steckt, die er täglich schleppen muss. Großartig, wie er sich zu Wort melden will als die Stimme der Vergessenen, von den anderen aber immer wieder beiseite geschoben wird. Aysima Ergüns Luigi spielt lange das freundliche gute Gewissen des Abends, bis die Maske fällt. Und Nils Bormann und Falilou Seck sind die zwei derart verschiedenen Zwillinge, dass man schon viel Fantasie haben muss, um sie sich überhaupt als Brüder zu denken: Bormann der neurotische Narziss, der nicht versteht, warum ihn niemand liebt; Seck der knochentrockene Verwalter mit derart harter Schale, dass einen der weiche Kern drunter tatsächlich überrascht. Bei ihren mehrstimmig gesungenen Gospels beschleicht einen die Ahnung, dass die Frage, was bei einem Tod passiert und ob danach noch etwas kommt, mit einem behördlichen Aktenvorgang nicht zu beantworten ist.

Sie alle werfen sich mit Krawumm in ihre Rollen und die Handlung, die ja vor allem ein Aufhänger ist für böse Pointen, über die man erst lacht. Und dann nachdenkt. Denn natürlich hat die Geschichte viel mit uns zu tun. Wie gehen wir mit Menschen um, die die schlecht bezahlte Drecksarbeit übernehmen, die wir nie machen würden? Was bedeutet Würde? Hinter der wilden Story wird eine Realität greifbar, in der das eine Prozent der reichsten Deutschen ein Drittel des Wohlstands besitzen. Und in der die Menschen, die die Klos reinigen, nach Lebensende mit großer Wahrscheinlichkeit in einer Aschekapsel landen, weil dem Land Berlin Urnen zu teuer sind. Insofern stellt sich auch die Frage nicht, ob man angesichts des Unvorstellbaren in der Ukraine gerade im Theater lachen darf. Wenn dieses Lachen beim Versuch hilft, die Welt zu verstehen (und vielleicht: zu verändern), dann auf jeden Fall.