Essay: Vermeiden, Reduzieren, Kompensieren
Die Oper ist nicht nur eine teure, sondern auch energieintensive Kunstform. In Zeiten des Klimawandels wird es höchste Zeit für mehr Nachhaltigkeit. Die Theater in Gelsenkirchen und Regensburg sind hier zum Vorreiter avanciert.
Oper ist eine Kunst der Verschwendung. Abend für Abend kommen auf und hinter der Bühne dutzende, oft hunderte Menschen zusammen, um ein flüchtiges Kunstwerk entstehen zu lassen. Oft massive Kulissen aus Stahl, Holz und Kunststoffen werden errichtet und wieder abgebaut, unzählige Leuchten und Scheinwerfer in Gang gesetzt, Künstler:innen aus der ganzen Welt eingeflogen. Kurz: Oper gehört zu den energieintensivsten Künsten, personell, aber auch in Kilowattstunden von Strom und Gas.
Zugleich besteht kein Zweifel daran, dass sich insbesondere in den westlichen Ländern sehr viel ändern muss, um das Ziel zu erreichen, die globale Erderwärmung nicht mehr als 1,5 Grad Celsius steigen zu lassen. Vor einigen Wochen hat der aktuelle ICPP-Bericht in drastischer Deutlichkeit gezeigt, was auf uns zukommt: Dürren, Hitzewellen, Extremwettereignisse, Wasserknappheit, Ernteausfälle, Überflutungen und ein deutlicher Anstieg des Meeresspiegels. Drei bis fünf Milliarden Menschen – das wäre die Hälfte der Menschheit – sind in den nächsten Jahren existenziell von der Klimakrise bedroht. Der Bericht zeigte auch, dass die Kluft zwischen dem, was notwendig wäre und dem, was getan wird, kontinuierlich wächst.
Wenn sich nun die gesamte Gesellschaft beim Versuch, ihren CO2-Ausstoß zu reduzieren, nicht gerade mit Ruhm bekleckert – warum sollte dann ausgerechnet die Oper vorpreschen? Vielleicht, weil sie eine Kunstform ist, die immer neu von Menschenleid und Menschenhybris erzählt. Weil Kultur wie alle Bereiche der Gesellschaft in der Verantwortung steht und Theater- und Opernhäuser verhältnismäßig viel Energie verbrauchen. Und weil sie durch die öffentliche Hand finanziert werden und dadurch besonders unter einem Legitimationsdruck stehen.
Höchste Zeit also, für mehr Nachhaltigkeit an den Häusern zu sorgen. So wie das Theater Regensburg mit seinen fünf Sparten und das Musiktheater im Revier (MiR) Gelsenkirchen. Beide gehören zu den Vorreitern der Nachhaltigkeit in Deutschland. Ihr erster und wichtigster Schritt war das Datensammeln. Denn um energieeffizienter werden zu können, muss man erst einmal wissen, wieviel Energie man verbraucht. „Es ist äußerst aufschlussreich zu sehen, wieviel Energie in welchen Bereichen zu welchen Zeiten verbraucht wird, um darauf aufbauend Maßnahmen ableiten zu können“, sagt MiR-Geschäftsführer Tobias Werner. Gelsenkirchen hat 2019 am europäischen Städtenetzwerk C-Change teilgenommen und zusammen mit den Städten Manchester und Wroclaw ein Carbon Literacy Training durchgeführt. Außerdem war das MiR Teil des Projekts Ökoprofit, in dem sich Unternehmen der Ruhrgebietsstädte Gelsenkirchen, Bottrop, Gladbeck und Herne austauschten. Seine CO₂-Bilanz hat es mit Unterstützung der gemeinnützigen britischen Organisation Julie’s Bicycle erstellt, dessen Tool es mittlerweile auch auf Deutsch gibt. „Der Rechercheaufwand war überschaubar“, sagt Werner. „Natürlich mussten wir für manche Daten die Aktenschränke durchsuchen. Und natürlich war das für die Mitarbeitenden ein zusätzlicher Aufwand. Aber die meisten sehen die Notwendigkeit dafür, Maßnahmen für ressourcenschonendere Arbeit umzusetzen.“ Denn, so seine Argumentation: „Noch haben wir es selbst in der Hand, die Rahmenbedingungen festzulegen.“
Das Theater Regensburg ließ sich die Klimabilanz vom Projektbüro What if für nachhaltige Kultur erstellen. Sie arbeiteten bei der Datenanalyse nach dem Greenhouse Gas Protocol (GHG), einem international anerkannten Standard für die Bilanzierung von Treibhausgasemissionen. Interessant ist, dass beide Häuser zu ähnlichen Ergebnissen kommen: Die größten Dreckschleudern sind die Energieversorgung der Spiel- und Betriebsstätten und die Mobilität – mit großem Abstand vor allen übrigen Bereichen wie Abfall und Abwasser, so Geschäftsführer Matthias Schloderer. Interessant bei der Mobilität ist zudem, dass der Großteil nicht durch die Mitarbeitenden der Häuser entsteht oder durch Gastkünstler:innen, sondern durch das Publikum. Auch wenn manche infrage stellen, ob diese Art von Mobilität in die Bilanz gehört – im Fall von Regensburg ist der CO2-Ausstoß des Publikums bei An- und Abreise drei Mal so hoch wie der, den die Beschäftigten des Theaters verursachen. Wenn einem Haus wirklich am Wandel gelegen ist, muss es diesen Umstand mitdenken und das Publikum zu einer klimafreundlichen Anreise motivieren, ohne es zu vergraulen.
Aus den Ergebnissen ließen sich relativ schnell Handlungsanweisungen ableiten. Beide Häuser haben inzwischen auf Ökostrom umgestellt. Beim Publikumsverkehr setzen sie auf Sensibilisierung. „Bei einer Befragung wussten knapp 40 Prozent des Publikums nicht, dass sie mit einem Theaterticket auch den öffentlichen Nahverkehr benutzen können“, sagt Schloderer – ab der nächsten Spielzeit soll diese Information nicht mehr klein auf der Rückseite der Tickets, sondern groß auf die Vorderseite gedruckt und auch über die Theaterzeitung kommuniziert werden. Zugleich fragt Schloderer, ob die Vorstellungszeiten noch die Richtigen sind, wenn man hinterher nicht mehr die letzte Bahn ins Umland oder nach München erreicht. Auch Werner setzt auf mehr Information: „Kommt mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln, mit dem Fahrrad oder nutzt das Angebot unserer Theatertaxis“, sagt er – und will für sichere Fahrradstellplätze am Haus sorgen.
Interessant ist, dass die beiden Häuser in Zeiten rasant steigender Energie- und Verbraucherkosten mit ihren Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit auch ihre Kosten senken. So hat Gelsenkirchen mit der Umstellung des Abfallmanagements auf mehr Recycling ebenso Geld gespart wie mit der Umstellung aller Scheinwerfer auf LED. Ähnliches gilt für das Recycling von Bühnenbildern, das in der Klimabilanz eines Hauses nicht besonders stark auffällt. „Aber wenn heute die Holzlatte 180 Prozent mehr kostet als noch vor ein, zwei Jahren, dann führt daran aus ökonomischen Gründen kein Weg vorbei“, sagt Schloderer.
Bei weiteren Schritten steht oft ein Konflikt mit dem Denkmalschutz an. Schloderer berichtet, dass das 1804 erstmals eröffnete historische Regensburger Haupthaus am Bismarckplatz saniert werden muss. „Wir können uns auch vorstellen, dass es hinterher Solarpanele auf dem Dach gibt.“ Eher unwahrscheinlich, dass das in der Weltkulturerbestadt durchgeht. Ähnlich sieht es in Gelsenkirchen beim Ruhnau-Bau aus dem Jahr 1959 aus: Werner würde für eine Dachbegrünung oder eine Fotovoltaikanlage optieren, zumal die technischen Anlagen aus der Entstehungszeit des Hauses ohnehin ausgetauscht werden müssen. Aber auch dieses Haus steht unter Denkmalschutz.
Werners Lösung sind kleine Schritte. So hat das MiR neben den Scheinwerfern die Kühlhäuser in der Kantine ausgetauscht. Man muss immer schauen, was sich aus eigener Kraft machen lässt“, sagt Werner. Grundsätzlich aber ist er optimistisch: „Langfristig ist ein CO2-neutraler Opernbetrieb vorstellbar.“ Wichtig sei, Know-how aufzubauen, Bewusstsein zu schaffen, Erfahrungen mit anderen Akteuren auszutauschen und sich auf den Weg zu machen.
Schloderer ist bezüglich einer Klimaneutralität skeptischer: „Null-Emissionen sind utopisch“, sagt er. „Wir haben bei der Nachhaltigkeit drei Prioritäten: vermeiden, reduzieren und erst im letzten Schritt kompensieren. Am Ende wird es immer etwas geben, dass wir mit Geld kompensieren müssen.“ Und kann sich dafür auch einen Aufschlag auf die Tickets vorstellen.
Einig sind sich beide Geschäftsführer darin, dass die Häuser die CO2-Reduktionen nicht aus den aktuellen Etats stemmen können – auf keinen Fall dürften sie zulasten des künstlerischen Etats gehen. „Kunst und Nachhaltigkeit dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“, sagt Schloderer – und regt an, Theater finanziell zu belohnen, die sich um ihre Klimabilanz kümmern. Werner fordert zudem finanzielle wie personelle Unterstützung auf Landes- und Bundesebene: „Das kann die Kultur nicht alleine stemmen, da müssen sich beispielsweise Wirtschafts-, Umwelt- oder Bauministerien engagieren.“
Und dann ist da noch ein Gedanke: Ist es nicht absurd, dass ausgerechnet die Oper, diese Kunst der Verschwendung, jetzt das Gegenteil propagiert, die Sparsamkeit, das Maßhalten? „Natürlich gibt es Grenzen“, sagt Schloderer: „Wir können nicht nur draußen bei Tageslicht spielen, brauchen den internationalen Austausch, wollen nicht nur streamen.“ Werner wiederum sieht keinen Widerspruch, sondern in der Nachhaltigkeitsoffensive einen Akt der Zukunftssicherung: „Die Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeit schafft ja Freiräume für die Kunst.“ Damit auch in Zukunft noch der Lappen hochgeht.