Theaterkritik: Weltgeschichte im Puppenformat

Theaterkritik: Weltgeschichte im Puppenformat

In der neuen Arbeit von Regisseurin Suse Wächter wird Bertolt Brecht von zahlreichen Gestalten der Vergangenheit heimgesucht.

Einmal wird es sogar richtig böse. Da drängelt sich Maggie Thatcher vor, jene Iron Lady, die in Großbritannien den Turbokapitalismus auf Kosten der Gesellschaft vorangetrieben hat. Sie will auch ein Lied singen. Also trägt sie das „Lob des Kapitalismus“ vor: „Er ist das Einfache / Das schwer zu machen ist.“ Brecht-Kenner wissen natürlich, dass der Text aus dem „Lob des Kommunismus“ stammt. Nur sind seine Verse so unkonkret formuliert, dass sie auch auf die Gegenseite zutreffen.

Ziemlich nackt steht Bertolt Brecht plötzlich da, und das in seinem Haus, dem Berliner Ensemble. In ihrer Puppenrevue „Brechts Gespenster“ eröffnet Suse Wächter, berühmt und preisgekrönt für ihre oft erstaunlich realistischen Klappmäuler, kabarettistisch zugespitzte Perspektiven auf Brechts Werk und Denken.

Auf der schmalen Vorderbühne – hinten wartet der Lametta-Vorhang von Barrie Koskys „Dreigroschenoper“-Inszenierung auf die nächste Vorstellung – hängt an einem Gerüst Wächters Puppensammlung: Queen Victoria, der Papst, Mutter Theresa. Davor haben sich die beiden Musiker Martin Klingeberg und Matthias Trippner eingerichtet an Schlagzeug, Keyboard, Trompete und Tuba, denen sie den typischen Brecht-Klang entlocken zwischen Kurt Weill, Paul Dessau und Hanns Eisler. Daneben steht eine Couch; vorne rechts liegt Lenin aufgebahrt zwischen roten Nelken.

In 90 Minuten schlüpfen Wächter und Hans-Jochen Menzel hinter und in zahlreiche Puppen, Rollen, Akzente. Da ist Brecht selbst, Hände in den Taschen, Zigarrenstummel im Mund, der herrlich pointiert die Sache mit der Dialektik erklärt. Da ist Manfred Wekwerth, langjähriger BE-Intendant, der als knatternder Untoter Brechts Schauspieltheorie demonstriert. Da sind Gott und Karl Marx, die sich einander ähnlicher sind, als sie beide glauben mögen.

Gerade für Brecht-Einsteiger bietet der Abend in seiner Leichtigkeit viele schöne Aha- und Weiterdenk-Momente. Allerdings verzettelt er sich zuweilen. Wenn ausgerechnet Franz Kafka den Abend eröffnet und beschließt (weil Briefeschreiben ein Verkehr mit Gespenstern sei), wenn Luciano Pavarotti die „Kinderhymne“ singt, Lenin kurz den Grüßaugust gibt und Siegmund Freud drei Sätze hat, wirkt es, als habe sich Wächter intuitiv für die ausdrucksstärksten, nicht für die passendsten Puppen entschieden.

Schwierig wird der Abend vor allem, als drei (Garten-)Zwerge sich als Sinnbilder der „kleinen Leute“ über mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten beklagen. Es sind jene Arbeiter, die früher in Bergminen schufteten und heute U-Bahn-Höfe wischen. Man weiß nicht so recht: Soll das eine Parodie sein? Der deutsche Michel redet halt, statt Revolution zu machen? Oder ist Gesellschaftskritik bei Wächter und ihrem Dramaturgen Bernd Stegemann wirklich so platt?

Schade auch, dass Brecht nicht wiederkommt, der den Abend hätte alleine stemmen können. Schade, dass Brechts Frauen – Marianne Zoff, Elisabeth Hauptmann, Helene Weigel – keine Rolle spielen. Und dennoch: Der Reichtum an ausdrucksstark geführten Puppen, an oft witzigen, manchmal erhellenden Blicken auf Brecht ist so groß, dass er über die paar Durchhänger und Leerstellen locker hinwegtröstet.