Opernkritik: Und Ihr?

Opernkritik: Und Ihr?

Draußen ist Klimastreik, und auch drinnen tönen die politischen Botschaften: Zur Saisoneröffnung an der Komischen Oper unter neuer Intendanz hat Marco Štorman Luigi Nonos „Intolleranza 1960“ inszeniert, in einer eindrucksvollen Raumbühne, die den Saal zur Eiswüste macht.

„Ihr aber, wenn es soweit sein wird / Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist / Gedenkt unsrer / Mit Nachsicht“, singt der Chor im Epilog, vorsichtig, zärtlich, als taste er sich an den Sinn der Worte heran. Sie stammen aus Bertolt Brechts Gedicht „An die Nachgeborenen“. Kurz zuvor hat eine Flut den „Emigrante“ und seine Gefährtin verschlungen, mit der er eine bessere Welt aufbauen wollte.

Klassisch tragischer Opernschluss, könnte man meinen. Nur ist Luigi Nonos Bühnenerstling „Intolleranza 1960“ so gar kein dramatisches Werk im herkömmlichen Sinne. Sondern ein „Ideentheater“ und damit sowohl auf der Erzähl- als auch auf der musikalischen Ebene eine ziemlich abstrakte Herausforderung – serielle Musik in der Schönberg-Nachfolge (mit dessen Tochter Nono verheiratet war), mit Texten voll Agitprop, einem Brecht’schen Romantikglotzverbot und einem an den Avantgardisten Wladimir Majakowski und Erwin Piscator geschulten Theaterverständnis.

Mit letzterem hat sich Regisseur Marco Štorman in seiner Inszenierung an der Komischen Oper Berlin nicht lange aufgehalten. Statt Projektionen und Dokutheater setzt er auf eine eindrückliche Landschaft: Márton Ágh hat den Neo-Rokoko-Saal von Fellner und Helmer in eine Eishöhle verwandelt. Dort, wo sich sonst die Parkettstühle reihen, stehen nun riesige Eisschollen; weiße Stoffbahnen überziehen auch die Ränge, die Decke und das, was normalerweise die Bühne ist. Dort sitzt nun das Publikum, aber auch direkt um die Spielfläche herum und im ersten Rang, während im zweiten das Orchester loslegt.

Diese Raumbühne ist schon ein ziemliches Spektakel, wenn auch als Idee nicht ganz neu (man denke an Bert Neumanns Volksbühnen-Umbauten, man denke ans Musiktheaterexperiment in Halle). Nur ist die Frage, ob man damit Nonos Werk in den Griff kriegt, noch nicht beantwortet. Im Programmheft spricht Štorman von einer Welt wie eingefroren, und man kann sich schon vorstellen, wie das gedacht ist: Dass der Gastarbeiter (der „Emigrante“), der heim will, durch diese unwirtliche Welt muss. Erst will ihn seine Freundin nicht gehen lassen. Dann begegnet er Demonstrationen, Polizeigewalt, Hass. Als er endlich eine Gefährtin findet und mit ihr seine Heimat erreicht, sterben beide.

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