Opernkritik: Hohe Wiedererkennung, klare Botschaft

Opernkritik: Hohe Wiedererkennung, klare Botschaft

Nikolaus Habjan zeigt an der Oper Dortmund Mozarts „Zauberflöte“ mit zeitloser Ausstattung, eindeutigen Charakteren und einer klaren Geschichte. Die Botschaft ist deutlich, aber auch ein bisschen dünn.

Am Ende stürzen sie beide, die Königin der Nacht ebenso wie Sarastro. Erst reißt Pamina ihrer angreifenden Mutter den Puppenkopf ab, dann wirft sie den Sektenguru aus dem Rollstuhl. Das hat er sich ehrlich verdient. Nicht nur durch den misogynen Quatsch, den sein Geheimbund von sich gibt („Bewahret Euch vor Weibertücken“). Sondern vor allem durch sein Dauergegrabbel: Vor Sarastros großen Händen war Pamina die halbe Oper hindurch nicht sicher. Da wundert es wenig, dass zuvor auch der Vergewaltiger Monostatos so ungeschoren davonkam.

Dass Pamina nicht Paminos Preisgeld für Mut und Tapferkeit ist, sondern die einzige, die im Kampf gegen die Mächtigen handelt, ist der entschiedenste Interpretationszugriff, den Nikolaus Habjan, Puppenbauer, -spieler und Regisseur, in seiner Inszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Zauberflöte“ zeigt. Habjan, der seit 2020 Hausregisseur der Oper Dortmund ist, hat sich nun jenes Werk vorgenommen, über das er selbst seine Liebe zum Musiktheater entdeckte. Vielleicht erklärt das, warum er „Die Zauberflöte“ weitgehend  als typische Einstiegsoper erzählt: zeitlose Ausstattung, eindeutige Charaktere, klare Geschichte (so klar sie eben zu haben ist in Emanuel Schikaneders Maschinenkomödie).

Dazu passt die Bühne von Jakob Brossmann, Manfred Rainer und Hannah Rosa: Auf der einen Seite der Drehbühne steht ein Zauberwald, auf der anderen Sarastros Tempel, dessen Zentralperspektive klassische Formen abstrahiert und mit zeitgenössischer Rasterarchitektur mischt. Denise Heschls Kostüme wiederum sehen aus, als hätte sie sich bei Inszenierungen der 80er und 90er Jahre bedient: Der Wiedererkennungswert ist hoch, die Botschaft deutlich, aber eben auch ein bisschen platt. Am Lustigsten sind noch die drei Damen und die Königin der Nacht, die wirken, als hätten Nachtpfauenaugen barocke Festgewänder ausgebrütet.

Die Frage ist ja, was überhaupt eine „Zauberflöten“-Inszenierung leisten sollte. All die Schichten deuten, die auf diesem Werk liegen? Mit ihrem Machismus und Rassismus ins Gericht gehen? Oder doch ein Märchen- und Zaubertheater entfachen, das als Einstiegsdroge fürs Musiktheater generell funktioniert? Habjan gelingt es, einerseits einen grundnaiven Ton anzuschlagen und die Geschichte in all ihrer Märchenhaftigkeit wie in ihren Brüchen so zu erzählen, dass ein Erstpublikum (und davon gibt’s einige in Dortmund, wie Foyergesprächen zu entnehmen ist) alles versteht.

Zugleich geht er die zwei größten Herausforderungen des Werkes an. Der Rassismus entfällt dank Strichen und behutsamen Umformulierungen; statt Blackfacing trägt Monostatos eine schwarze Rüstung. Den Machismus thematisiert Habjan, indem nicht nur die Königin der Nacht mit gespaltener Zunge spricht, sondern auch Sarastro, der Edelmut predigt, aber autoritär herrscht und sexuell übergriffig wird.

Interessant, dass Habjan, der vom Figurentheater kommt, hier sein Markenzeichen, die Klappmaulpuppe, nur sparsam einsetzt, bei Sarastro, der Königin der Nacht, der Schlange und den wilden Tieren. Vielleicht, weil die Puppenidee im Zusammenhang mit der „Zauberflöte“ schon oft durchgespielt wurde, von der Augsburger Puppenkiste über die übergroßen Kinderköpfe bei Achim Freyer bis zu Yuval Sharons Live-Marionetten an der Berliner Staatsoper. Besonders sinnfällig löst Habjan das Doppel aus Puppe und den sie szenisch dezent begleitenden Sängern in der Hallen-Arie: Da tritt Denis Velev, der bis dahin hinter der Sarastro-Figur im Rollstuhl stand, ihr gegenüber. Während die Puppe ihr verhärmtes Klappmaul hält, hält Velev ihr in sonorer Schlichtheit ihre offensichtliche Doppelmoral vor: „Wen solche Lehren nicht erfreun, verdienet nicht ein Mensch zu sein.“

Andere Deutungsfäden aber lässt Habjan liegen. So richtig geht auch der Ansatz nicht auf, Pamina zur aktiven Heldin zu machen. Denn Tanja Christine Kuhn verfügt zwar über einen angenehmen, schlanken Sopran, mit dem sie aber nicht einmal dann in die Extreme geht, wenn Pamina von Monostatos bedrängt wird oder sie ihren Selbstmord erwägt. Das sind markerschütternde Momente, an die man mit bloßer Traurigkeit nicht herankommt. In den Sprechpassagen bemüht Kuhn zudem den naiven Ton einer Seifenopern-Unschuld.

Detaillierte Personenführung scheint ohnehin nicht Habjans Sache zu sein. Der Abend wirkt, als machten insbesondere in den Sprechpassagen alle ihr eigenes Ding. Sungho Kims Pamino kennt nur zwei Seelenzustände: bedrückt und standhaft. Dafür strahlt sein manchmal etwas massiver Tenor mit Heldenfach-Anlauf hell. Papageno-Routinier Morgan Moody hingegen macht sich mit hemmungsloser Komödiantik seine Rolle zu eigen, auch zulasten einiger verrutschter Töne. Die sitzen wiederum bei Antonina Vesenina, Handlungsreisende in Sachen Königin der Nacht, die mit eiskalten Nadelstich-Kaskaden von Anfang an die Böse gibt. Spielen muss sie hinter ihrer Puppe kaum; die gesprochenen Worte kommen vom Band.

Am Interessantesten gelingt der Blick auf die drei Damen, die hier derart lüstern über Pamino her- und einander in den Rücken fallen, dass sich bei Heejin Kim, Hyona Kim und Maria Hiefinger auch vokal so etwas wie individuelle Charaktere herausschälen. Herrlich der Einfall, die drei Knaben so altklug aussehen zu lassen, wie sie singen: Mit grauen Schöpfen, Schnauzern und in Anzügen wirken sie so alt wie ihr Männlichkeitsbegriff (standhaft, duldsam, verschwiegen).

Zum szenisch wie musikalisch streckenweise interessanten, aber disparaten Eindruck trägt auch Motonori Kobayashi am Pult der Dortmunder Philharmoniker bei. Vom verbreiteten Ansatz, Mozart von der Alten Musik her zu denken, scheint Kobayashi nichts zu halten. Seine Ouvertüre bleibt statisch. Statt die Dynamiken auszuschattieren, knallt das Blech, gellen die Holzbläser. Dass auch danach insbesondere in den Tempelszenen die Musik mehr nach Parteitag denn nach Aufklärung klingt, passt zu Habjans Konzept, die ganze Tempelgesellschaft als Sekte zu zeichnen. In den intimeren Passagen sucht Kobayashi aber auch Wärme in der Partitur, gibt den Sänger:innen Raum, entlockt dem Opernchor bei „O Isis und Osiris“ überraschend verhaltende Töne. Die Dortmunder hat’s überzeugt: Sie spendeten stehende Ovationen vom ersten Vorhang an.