Opernkritik: Stationen einer kubanischen Vaudeville-Künstlerin
Die Staatsoper versucht, Hans Werner Henzes politisches Stück “ La piccola Cubana“ für die Bühne zu retten
Wozu Kunst? Als Hans Werner Henze 1973 seine Oper „La Cubana“ komponierte, wollte er als menschenfreundlicher Sozialist seine politische Position bestimmen. Also erzählte er – auf ein ziemlich deutliches Libretto von Hans Magnus Enzensberger – von der kubanischen Vaudeville-Künstlerin Rachel, die sich für ein Leben in der Illusion entscheidet, während um sie herum erst Diktaturen herrschen, sie später die Revolution ignoriert.
Henze und Enzensberger wollten auf die Selbstbezüglichkeit von Kunst hinaus, wollten zeigen, dass man in Umbruchszeiten nicht schweigen kann. Dass die Uraufführungen als Fernsehoper (ausgerechnet in den USA!) und szenisch in München floppten, dürfte an der Deutlichkeit der Botschaft liegen: Seht her, wir zeigen euch eine, die’s nicht kapiert hat. Zumal sich schon damals abzeichnete, dass Fidel Castros Cuba kein Paradies für Andersdenkende werden würde.
Daran krankt auch die stark bearbeitete Version, die jetzt im Alten Orchesterprobensaal der Staatsoper als „La piccola Cubana“ Premiere hatte. Nicht an der Kammerensemble-Fassung, für die Jobst Liebrecht auf Entwürfe von Henze selbst zurückgreifen konnte: Noch stärker als in der Originalversion hört man jetzt die Ursprünge, die diese Musik bei Kurt Weill und anderen Komponisten der 20er Jahre hat, bei Jazzoperette, Tango, Foxtrott, Kabarett.
Sondern weil die Geschichte trotz allerlei Eingriffe nach wie vor stolpert. Regisseurin Pauline Beaulieu hat versucht, die weibliche Perspektive zu stärken: Zwei Frauen erzählen Rachels Geschichte; zwischendrin gibt’s Lyrik und bestärkende Zitate etwa von Virginie Despentes.
Es hilft nur nichts. Denn die Tatsache, dass hier in fünf Stationen eines operettenhaften Hybrids aus umfangreichen Sprechparts und Musiknummern eine (Volks-)Künstlerin vorgeführt wird, nur um an ihr zu demonstrieren, wie tödlich politische Ignoranz ist, lässt sich nicht abmildern. Erst recht nicht durch szenischen Dilettantismus: Hinten sitzt das neunköpfige Orchester, vorne erstreckt sich die Spielfläche als kubanische Fahne, darauf ein paar discokugelglitzernde Palmen. Hier wirken Rachels Auftritte und Begegnungen zwischen grell gezeichneten Nebenrollen so gedrängt, so unmotiviert, dass man schnell den Faden und das Interesse verliert am frühen Tod ihres Geliebten, ihrer Beziehung zu Paco und Federica.
Bleibt nur die Orientierung, die die beiden Zeuginnen geben, die hinter transparenten Leinwänden vor knackenden Mikrofonen stehen, einander auch mal widersprechen. Und die Musik, die unter Adrian Hegers Leitung stärker ist als alle Behauptungen. Mit ihrem irisierenden und irritierenden Spannungsfeld aus Zitat und Eigensinn, aus verführerischer Melodie, mitreißender Rhythmik und schroffer Instrumentalisierung – Maultrommeln sind dabei, Ratschen, eine Mundharmonika – ist sie der beste Beweis, dass Kunst autonom ist, sich einer konkreten Vereinnahmung widersetzt.
Gerade Rachels letztes Lied, ihr gesungener Kunst-Trotz gegen die Wirklichkeit gelingt bei Victoria Randem so ausdrucksstark und innig, dass man ihr jedes Wort glaubt, während der dagegengesetzte Karl-Marx-Slogan „Ihr habt nichts zu verlieren außer eure Ketten“ schal wirkt. Überhaupt kommt hier vokal viel Kraft zusammen dank Ema Nikolovska und Andrés Moreno García, die locker den kleinen Raum sprengen. Als Liederabend könnte das wunderbar funktionieren. Als Musiktheater ist „La Cubana“ auch in dieser Fassung nicht zu retten.