Opernkritik: Ein schwieriges Werk und seine vielen Tücken
David Hermann inszeniert Beethovens „Fidelio“ an der Deutschen Oper – das aber ziemlich fad
Diese Frau geht über Leichen: Als Leonore mit Kerkermeister Rocco ins Verlies klettert, wo sie ihren Mann Florestan zu finden hofft, kriecht da noch ein anderer Gefangener rum. Rocco drückt ihr die Pistole in die Hand, Leonore schießt – die Leiche landet in jenem Grab, das die beiden eigentlich für Florestan schaufeln.
Man kann sich nicht in ein Unrechtssystem begeben, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen, scheint Regisseur David Hermann damit sagen zu wollen. Er inszeniert Ludwig van Beethovens „Fidelio“ an der Deutschen Oper, die erste Neuinszenierung am Haus seit 20 Jahren. Die letzte stand unter keinem guten Stern: Christof Nel machte sich über das Werk lustig, statt es zu deuten und ließ überforderte Sänger ihre Dialoge in Mikrofone flüstern. Das Fiasko war der Anfang vom Ende der kurzen Intendanz von Udo Zimmermann.
Nun also versucht Hermann, das schwierige Werk in den Griff zu kriegen, an dem sich Beethoven gut zehn Jahre lang herumquälte. Schwierig, weil’s hier drei Opern in einer gibt: das Singspiel zu Beginn, die dramatische Oper in der Mitte und das Freiheitsoratorium des Finales. Da geht die Geschichte von Leonore, die sich als Fidelio verkleidet, um ihren Mann Florestan aus der Gefangenschaft zu befreien, schnell ein bisschen unter. In der finalen Fassung gesteht Beethoven den Figuren kaum Entwicklungen zu. Ihre Wandlungen kommen ziemlich abrupt.
Umso mehr, wenn man die Dialoge auf ein Mindestmaß zusammenstreicht wie hier: Ein-Wort-Sätze, karg in die düstere Gefängniswelt hineingeschnauzt. Die hat Johannes Schütz grau bebildert: Eine mannshohe Mauer umgrenzt einen Gefängnishof, an dessen Rändern die Häftlinge hinter Masken sitzen, die man als ihre versteinerten Mienen lesen kann. Ein Podest erlaubt ihre Überwachung, ein großes Loch führt zu den unterirdischen Zellen. Diese schlammfarbene Industrie-Tristesse setzt sich auch im Kerker des zweiten Akts fort, wo der gesamte Bühnenboden mit Lehm bedeckt ist.
Hier also streiten sich Roccos Tochter Marzelline und ihr Möchtegern-Lover Jaquino, hier flirtet sich Leonore als Fidelio in die Familie ein, um als Roccos Gehilfe endlich in die Geheimverließe vordringen zu können. Aber obwohl sich die Sänger spielerisch abmühen, bleibt das senisch ziemlich diffus. Ein paar schöne Ideen hat Hermann: Einmal findet Leonore den Schlüssel für die Gefangenen, schließt dem ersten die Beinfesseln auf, der kümmert sich um seinen Nachbarn. So geht das solidarisch weiter, bis alle aufstehen können. Nur muss dabei wirklich gleich die hintere Wand umstürzen? Deutlicher geht’s ja kaum.
Wenn nur etwas von dieser Deutlichkeit im Verhältnis der Figuren zueinander aufleuchten würde! Oder im Graben, wo sich Sir Donald Runnicles redlich um Beethoven müht, dabei aber selten in die Extreme geht – und wenn doch, dann klingt’s vor allem laut. Daniel Barenboim hat das 2016 provozierend anders dirigiert, herausfordernd, aber spannend. Bei Runnicles hingegen mangelt es an Plastizität: Zu selten leuchten die Details auf. In den Massenszenen hat er zudem Mühe, den Laden zusammenzuhalten und darf dabei die Sänger nicht übertönen.
In Berlin sind wir verwöhnt mit exzellenten Stimmen. Allerdings darf man von großen Häusern auch eine entsprechende Besetzung erwarten. Und wenn die Staatsoper Camilla Nylund und Andreas Schager aufbietet, sollte man sich als direkte Konkurrenz genau überlegen, wen man ins Rennen schickt. Ingela Brimberg verfügt über eine angenehme dramatische Mittellage und Spielfreude. Aber die Höhen klingen scharf, der Stimme mangelt es an Durchschlagkraft. Man spürt, wie sie sich mit aller Wucht in die Rolle der Leonore wirft. Aber das reicht nicht bei einem Riesenhaus wie diesem.
Deutlicher noch scheitert Robert Watson als Florestan. Sein heller Tenor klingt frisch, jugendlich, besitzt aber nicht die Ausdauer für die Klippen der Arie „Gott! Welch Dunkel hier“. Da irrlichtert es wild, während sein Tenor in den Massenszenen des Schlusses völlig untergeht. Albert Pesendorfer klingt als Rocco kehlig und etwas unfokussiert, stolpert dazu unbeholfen durch die Szene. Jordan Shanahan gestaltet seinen Pizarro zwar überzeugend als Bösewicht mit Torero-Allüren, liefert aber nicht die erforderliche Bassschwärze dazu. Frisch leuchtet Sua Jos Marzelline, und Thomas Lehmann gelingt es sowohl vokal wie szenisch, als Don Ferndando eine glatte Politikerkarikatur zu zeichnen. Zusammen mit dem Chor, der hier ein zum Aufstand neigendes Volk spielt und vokal so richtig aufdreht, sorgt er für ein halbwegs stimmiges Finale. Zumal Hermann jetzt noch ein paar Einfälle präsentiert, die man nicht gut finden muss, die aber die immerhin die Langeweile des Beginns durchbrechen.
An das „Fidelio“-Fiasko vor 20 Jahren also kommt diese Produktion nicht heran. Damals gab es schon während der Vorstellung Buh-Orkane, die beinahe in eine Saalschlacht ausarteten. Heute reicht es allenfalls für ein paar beherzte Unmutsbekundungen im Schlussapplaus. Nein, eine Katastrophe ist dieser Abend nicht. Nur ziemlich fad.