Theaterkritik: Düster leuchten die Utopien

Theaterkritik: Düster leuchten die Utopien

She She Pop öffnen in „Mauern“ noch einmal die „Schubladen“, in denen sie 2012 den Ost-West-Dialog suchten. Heute fragen sie: Was lässt sich von dem, was uns einst an- oder aufregte, für eine eher finster grundierte Zukunft retten?

Einmal in ein Foto steigen? Auf der Bühne geht auch das: Riesig strahlen die Motive auf einer Gaze, zeigen eine bröckelnde Ostberliner Mietskaserne der Wendezeit, die verlassenen Gebäude von Tschernobyl, aufgeworfene Erde vor sowjetischer Platte. In diese „Mauern“ steigen die Performer:innen hinein, schlüpfen hinter die Gaze, wo sich aus Tüchern und Rampen eine dunkle Landschaft formt, leuchten dort auf oder lassen sich dank einer Kamera ins Bild montieren. So entstehen Schichten, in denen sich die Menschlein auf der Bühne verirren wie auf der Suche nach der verlorenen Zeit: Befinden sie sich in der Vergangenheit? Gegenwart? Zukunft?

Nach zehn Jahren haben She She Pop am Berliner HAU noch einmal die „Schubladen“ geöffnet, in denen sie autobiografisch den Ost-West-Dialog suchten. Unter den Büchern von einst, die sie aufteilen in das, was weg kann und das, was bleiben soll, finden sie auch alte Utopien. Welche gehen uns heute noch etwas an, mitten in einem Krieg und einer immer sichtbarer werdenden Klimakatastrophe, nach all den identitätspolitischen Debatten und einem gewachsenen Bewusstsein dafür, dass unsere weiße mitteleuropäische Wohlstandsperspektive vielleicht selbst mehr Problem als Lösung ist?

Dass die Zeiten andere sind, wissen natürlich auch She She Pop, die seit nunmehr knapp 30 Jahren eigene Biografieschnipsel und aktuelle Diskurse miteinander verweben, ohne Angst vor den großen Fragen. Entsprechend holen sie – bei der Premiere sind das Johanna Freiburg, Ilia Papatheodorou und Berit Stumpf – sich einerseits (wie schon 2012) Annett Gröschner und Peggy Mädler als Ost- (also: Ex-DDR-)Expertinnen dazu, andererseits Natasha Borenko und Jahye Khoo als Stimmen aus dem europäischen und dem fernen Osten.

Da ändert sich dann auch das heitere Ost-West-Geplänkel, das in seiner Pointenlust da weitermacht, wo „Schubladen“ 2012 aufhörten. Während „Schubladen“ danach forschte, wie wir über das uns Trennende produktiv ins Gespräch kommen können, heißt die Frage nun: Was lässt sich von dem, was uns einst an- und aufregte, für eine wie auch immer geartete Zukunft retten?

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