Theaterkritik: Wenn ein Infoabend hitzig wird

Theaterkritik: Wenn ein Infoabend hitzig wird

„Die Mitbürger“ am Potsdamer Hans Otto Theater

Ist das Theater oder doch eine Informationsveranstaltung? Schon wenn man die Reithalle, die Nebenspielstätte des Potsdamer Hans Otto Theaters betritt, ist alles anders: Garderobe und Bar sind im Bühnenraum aufgebaut, dazwischen stehen Tische und Stühle wie in einer Bar. Noch während man auf den Einlass wartet, kommen gutgelaunte Menschen auf einen zu, grüßen, stellen sich vor, fragen nach den Namen der Zuschauer. Dazu gibt’s ein Freigetränk.

Schon ist man Teil dieser Versammlung, halb Infotainment, halb Bürgerbegehren. Eigentlich sitzen wir in der Uraufführung von Konstantin und Annalena Küsperts Stück „Die Mitbürger“. Aber weil die beiden konsequent mit der Infoabend-Situation spielen und Regisseurin Esther Hattenbach sie ebenso konsequent aufgreift, vergisst man immer wieder, dass das alles nur Theater ist.

Was zum einen an der Vorlage liegt. Das Autorenpaar schreibt regelmäßig Stücke mit Haltung. Das Tolle an diesem Auftragswerk des Potsdamer Theaters ist, dass hier niemand den Holzhammer schwingt, sondern es dem Publikum ergeht wie dem Frosch im Kochwasser: Weil sich die Temperatur nur allmählich erhitzt, merkt man erst spät, wie brenzlich es wird.

Möglich wird das zum anderen dank dieser gut gelaunten, bunt gemischten Truppe, die hier zur Versammlung ruft, eine zunächst eher sympathische Zusammenkunft engagierter Menschen. Bürgerliche Verantwortung, Eigeninitiative, die alten Tugenden – klingt doch alles gut und ungefährlich. Auch Sätze wie „Es gibt keine alternativen Fakten, es gibt nur Fakten“, wie sie der Journalist in der Gruppe äußert, kann man erst mal unterschreiben, selbst wenn in ihnen schon ein merkwürdiger Trotz steckt, der bei Philipp Mauritz zunehmend hinter der freundlichen Fassade hervorlugt.

Überhaupt liegt die Stärke des Abends im Spiel: Franziska Melzer strahlt einen als esoterische Künstlerin so warm an, dass man sich dieser Verbindlichkeit kaum entziehen kann. Katja Zinsmeisters Architektin mit Hauptberuf Mutter will Familien stärken – na klar! Charlott Lehmann als ihre Tochter wirkt mit ihren Rasta-Locken ohnehin unverdächtig. Nur Joachim Berger ähnelt in Stimme und Haltung derart dem AfD- (und Ex-CDU-)Politiker Alexander Gauland, dass man gleich aufmerkt. Dazu setzt Johannes Bartmes am Flügel mit tastenden Melodien, zunehmend auch mit perkussiven Einlagen Akzente, unterstreicht in den Reden Spannung und Emotionen.

Das ist nie Frontalunterricht, sondern pendelt lässig zwischen Bar, Cafétischen und Parkett, lockt auch mal ins Foyer zur Vernissage (mit Kunst, die so deutlich wie banal angebliche Unfreiheit anklagt) oder in einen Nebenraum zur Meditation. Einmal führt der Journalist per Videoschalte Interviews mit vermummten Informanten, dann spielt er eine eigene Filmdoku ein. Die anderen kommentieren, ermutigen, widersprechen auch, mischen sich unters Publikum, spielen es an, charmant, lässig und doch nachdrücklich.

Je deutlicher ihre radikaleren Positionen werden, desto sichtbarer erscheinen auch die Brüche in diesem Bündnis, in dem jeder sein eigenes Süppchen zu kochen versucht. Und desto deutlicher gibt’s Einsprüche aus dem Publikum. Dass sich diese Versammlung selbst zerlegt, nimmt Regisseurin Hattenbach am Ende allerdings etwas zu wörtlich: Da fliegen plötzlich Körperteile durch die Gegend.

Von diesem überwürzten Finale abgesehen aber bleibt „Die Mitbürger“ ein äußerst starker Abend, den man anschließend noch gut an der Bar ausdiskutieren kann. Es gibt einiges zu besprechen.