Kolumne: Nicht mehr allein im Haus

Kolumne: Nicht mehr allein im Haus

Sind so genannte Triggerwarnungen schon wieder so ein Phänomen dessen, was Mächte der Gegenaufklärung als Wokeness-Wahn bezeichnen und vor allem bekämpfen? Über ein nicht mehr ganz neues, aber heftig diskutiertes Theaterthema.

Bevormundung! Geschichtsreinigung! Schneeflocken-Mentalität! Triggerwarnungen, wie sie viele Theater und Festivals mittlerweile auf ihre Homepages stellen, haben offenbar ein hohes Erregungspotential. Warum? Schließlich wenden sie sich an eine relativ kleine Gruppe von Menschen, jene nämlich, die in ihrem Leben krassere Erfahrungen gemacht haben als der Durchschnitt – um ihnen zu ersparen, mit diesen Erfahrungen ungewollt und unvorbereitet erneut konfrontiert zu werden. Gemeint aber fühlen sich andere.

Doch von vorn. Schon der Begriff sorgt für Missverständnisse. „Trigger“ bezeichnet in der Traumatherapie Reize, die unwillkürlich die Erinnerung an ein zurückliegendes Trauma auslösen, dadurch wie eine reale Situation erneut durchlebt und durchlitten werden können. Heute wird das Wort häufig für alles benutzt, was Menschen verstören kann, insbesondere vor dem Hintergrund bereits erlebter Gewalt.

Gewarnt wird, je nach Institution, zum einen vor sensorischen Reizen: der besondere Einsatz von Licht wie Stroboskop oder extreme Helligkeit, Lautstärke, der Einsatz von Nebel, Blut oder vergleichbaren Effekten. Zum anderen vor Themen wie körperlicher, seelischer oder sexualisierter Gewalt, Selbstverletzung und Suizid, Kindesmissbrauch, schwere Krankheit, Krieg und Tod, Sucht und Drogenmissbrauch, Diskriminierung wie Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus und Antisemitismus, Mobbing, Bodyshaming, Tierquälerei oder Nacktheit.

Über die Warnung vor Stroboskoplicht und anderen sensorischen Reizen regt sich kaum jemand auf. Vermutlich, weil hier Ursache und Wirkung – epileptische Anfälle zum Beispiel – medizinisch erwiesen sind. Und weil auch viele weitere Besucher:innen dankbar sind, wenn sie sich bei Knalleffekten rechtzeitig was in die Ohren stopfen können.
Bei Inhaltswarnungen allerdings kochen die Emotionen hoch.

„Hier wird die Bewusstmachung historischer Kontexte inklusive ihrer Vergegenwärtigung von sprachlicher Gewalt vorab als Risiko definiert und damit ihres Konfliktpotenzials beraubt“, schrieb ein (an sich geschätzter) Kollege vergangenen September in der Süddeutschen Zeitung. „Und das ist dann eher ein klassischer Fall von laienhafter Bevormundung des Publikums, was es zu denken hat.“ Bevormundung ist auch der häufigste Kritikpunkt, den die Theater erreichen – in teils drastischer Wortwahl.

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