Theaterkritik: Es klimpert und klackert nur leise vor sich hin
Das Festival Internationale Neue Dramatik wird mit „House of Dance“ eröffnet. Keine glückliche Wahl
Wovon man nicht reden kann, davon muss man tanzen? So jedenfalls kommen einem diese vier Menschlein vor, die sich mit Worten nicht so richtig ausdrücken können, dafür aber spontan in große Stepptanz-Choreografien ausbrechen. Das liegt nahe, weil sie sich in einem Tanzstudio befinden. Und offenbar jede Menge unausgesprochener Konflikte mit sich herumschleppen.
Das ist die Ausgangssituation von „House of Dance“, einem Stück der US-amerikanischen Theatermacherin Tina Satter, mit dem das diesjährige F.I.N.D.-Festival an der Schaubühne eröffnet. Satter hat es bereits in den USA produziert und jetzt mit Schaubühnen-Personal nachinszeniert. Auch nach dem Festival bleibt es im Spielplan. Man fragt sich allerdings: Warum?
Denn es passiert wenig. Die junge Toni will an einem Stepptanz-Wettbewerb teilnehmen und hofft so, der Kleinstadttristesse entfliehen zu können. Trainer Martle versucht, ihr ein paar Choreografien beizubringen, scheint aber vor allem in seiner eigenen Welt gefangen zu sein. Pianist Jo wirkt wie ein verschrobener Hausmeister, der auch ein paar Akkorde hinkriegt. Und Gigi, die Einzige, die hier wirklich Talent besitzt, hat offiziell Hausverbot und muss sich unsanft ins Studio schmuggeln.
Das erzählt Satter im Globe-Halbrund der Schaubühne vor aufwändiger Kulisse – man denkt beim Art-Deco-Portal und dem schicken Parkettboden eher an eine Hotellobby als an eine Mehrzweckhalle – mit Lust an der Schrulligkeit. Nach dieser 75minütigen Fingerübung reibt man sich allerdings etwas verwundert die Augen: Das soll ein ganzes Stück sein, übersetzt von der preisgekrönten Dramatikerin Gerhild Steinbuch? Gut möglich, dass der spröde Humor heftiger zündet in einer Kultur, in der die Weltflucht in den Showglanz stärker verankert ist. Aber um eine Stufe an Witz wie an Verzweiflung zu erreichen, die einen berührt oder erschüttert, fehlt es diesem Abend an Genauigkeit und Schärfe.
Stattdessen hat man den Eindruck, die vier Menschen zwinkerten einem kräftig zu: Alles halb so wild, wir wollen nur spielen. Hêvîn Tekin macht Schmollaugen zum Traum von der Steppkarriere, Holger Bülow verliert sich als Tanzlehrer in Buster-Keaton-Melancholie und Wiegeschritt, Henri Maximilian Jakobs‘ Pianist schlurft verloren zwischen Klavier und Tanzfläche umher. Allein Genija Rykova bleibt als Gigi ein Rätsel, halb Kleinstadtschönheit, halb Puck – vielleicht ist sie einst selbst Opfer ihres amerikanischen Tanz-Traums geworden. Der Rest ist hübsch imperfektes Klackadiklackadiklack.
Die Schaubühne lebt ja davon, dass sie sich bei den internationalen Theaterleuten bedient, die bei F.I.N.D. ihre Visitenkarte abgeben. Caroline Guiela Nguyen ist so ein Beispiel, die mit ihren Gastspielen neugierig machte und im vergangenen Herbst mit „Kindheitsarchive“ einen spannenden Beitrag zum Repertoire leistete. Auch Satter hat bereits bei F.I.N.D. gastiert, mit dem Dokutheater „Is this a Room“, bei dem die Schauspieler das Verhörprotokoll einer Whistleblowerin nachsprachen. Jetzt klimpert und klackert es nur leise vor sich hin. F.I.N.D. 2023 ist eröffnet – und hat noch bis zum 30. April Zeit, den verstolperten Start vergessen zu machen.