Oper: Raus aus dem Haus, rein in die Stadt

Oper: Raus aus dem Haus, rein in die Stadt

Vor dem Umzug der Komischen Oper: Die erste Pressekonferenz im Provisorium Schiller Theater

Wild kräuseln sich die alten Teppichbodenbahnen im Foyer. Staub liegt im Parkett zwischen den demontierten Stühlen. Draußen wird die komplett eingerüstete Werkstatt von einem massiven Bauzaun geschützt. Dennoch verkünden zwei Transparente von der Fassade des Schillertheaters optimistisch: Bald hier! Nämlich die Komische Oper, die ab Ende Juni einzieht, während das Stammhaus in der Behrenstraße sechs Jahre lang generalsaniert wird und einen Erweiterungsbau bekommt. Und da wir in Berlin sind, ahnen wir: Das kann auch noch länger dauern.

Noch braucht man einiges an Fantasie, um sich einen glanzvollen Neustart vorzustellen, der mit einem Fest am 15. Oktober beginnen soll. Vor der Kulisse des Zuschauerraums präsentieren die Ko-Intendanten Susanne Moser und Philip Bröking die erste Spielzeit an der Bismarckstraße. Wobei die Komische Oper für wichtige Projekte auch in die Stadt ausschwärmt: Die Saisoneröffnung wird, wie berichtet, im September Hans Werner Henzes „Das Floß der Medusa“ in Tobias Kratzers Regie im Hangar 1 des Flughafen Tempelhof. Der Vorverkauf läuft so gut, dass bereits ein Zusatztermin eingerichtet wurde. Im Februar gibt es zum zweiten Mal das Neue-Musik-Festival Schall & Rausch, wieder auf dem einstigen Gelände der Neuköllner Kindl-Brauerei und wieder mit großer Offenheit Richtung Pop. Und, die größte Neuerung: Im Juni 2024 wird vor dem Roten Rathaus ein Art-Déco-Spiegelzelt aufgebaut, das „Queen of Flanders“, in dem Axel Ranisch die DDR-Operette „Messeschlager Gisela“ inszeniert. Das „heitere Musiktheater“ war damals eine eigene Gattung zwischen „Operette, Musical und Klassenkampf“ – und soll jetzt ebenso regelmäßig auf seine Qualität abgeklopft werden wie bislang die Jazzoperette der 20er Jahre. Sicherheitshalber setzt die Komische Oper zum Start der Reihe auf Stars aus Film und Fernsehen: Auf der Bühne stehen Thorsten Merten und Gisa Flake, außerdem spielen Pfister-Schwester Andreja Schneider und BE-Mackie-Messer Nico Holonics mit.

Damit bleibt sich das kleinste der drei Berliner Opernhäuser ebenso treu wie mit den sechs Produktionen, die fürs Schillertheater geplant sind: Kirill Serebrennikov setzt mit der „Hochzeit des Figaro“ seine Mozart-Da-Ponte-Trilogie fort. Elena Kats-Chernin, die einst für Barrie Koskys Einstand an der Komischen Oper Monteverdi bearbeitete und seitdem zwei Kinderopern fürs Haus schuf, legt mit einer „Nils Holgersson“-Version nach. Wieder richtet Max Hopp die Weihnachtsoperette halbszenisch an, diesmal Jaques Offenbachs „Die Banditen“. Auch Kosky selbst bleibt als Hausregisseur äußerst präsent. Mit John Kanders „Chicago“ inszeniert er einen weiteren Broadway-Klassiker (mit Katharine Mehrling und Ruth Brauer-Kvam), außerdem Georg Friedrich Händels Oratorium „Hercules“ und Nikolai Rimski-Korsakows „Der rote Hahn“. Die Oper sollte eigentlich längst im Repertoire laufen, kam aber wegen der Pandemie erst in Aix-en-Provence, Lyon und Adelaide heraus.

Auch ein Großteil von Koskys Erfolgs-Repertoires zieht mit um, „Die Zauberflöte“, „Anatevka“, „La Cage aux Folles“, „Orpheus in der Unterwelt“ und „Jewgeni Onegin“. Bei der Auswahl spielte natürlich eine Rolle, was technisch machbar ist – gerade wird im Schillertheater extra eine integrierte Drehscheibe eingebaut (die Staatsoper hatte eine aufgelegte Drehscheibe genutzt, die sie später mit ins Stammhaus nahm). Aber offenbar auch, was das Publikum an den neuen Standort lockt. Bislang muss sich die Komische Oper um die Auslastung keine Sorgen machen: Für die laufende Spielzeit liegt sie bei erstaunlichen 91 Prozent, besser noch als in der Zeit vor Corona. Was nicht nur gut für die Stimmung ist, sondern auch für die Eigeneinnahmen.

Allerdings ist das Schillertheater kleiner als das Haus in der Behrenstraße. Zukünftig wird es etwa 20 Prozent weniger Plätze geben, auch durch das Spiegelzelt, in das nur 700 Menschen passen. Finanziell soll das erst einmal nicht durch höhere Ticketkosten ausgeglichen werden, denn, so sagt Susanne Moser: „Wir wissen, dass wir ein preissensibles Publikum haben.“ Sondern durch Rücklagen: „Wir haben gut gewirtschaftet.“ Die würden für fünf Jahre reichen, zumal der Senat die Logistik-, Miet- und Umzugskosten trägt, aber eben nicht die Mindereinnahmen. Außerdem werden wohl die Tickets der günstigsten Kategorie weniger, schließlich sieht man im Schillertheater von allen Plätzen gut. Umgewöhnen müssen wird man sich bei einem anderen wichtigen Service: Weil die Stühle mit den Untertiteln in vier Sprachen nicht mitgenommen werden können, wird es wie in den anderen Häusern nur deutsche und englische Texte über der Bühne geben.

Immerhin wird auch einiges besser: Die Orchester- und Chorprobensäle sind gut in Schuss, die Toilettensituation wird überarbeitet und in die Schiller-Werkstatt soll die Kinderoper einziehen. Apropos Orchester: Das legt einen spannenden Konzertplan vor, der ebenso wie das Bühnenprogramm offen fürs Populäre ist. Es gibt ein dokumentarisches Sinfoniekonzert zum Jahr 1923, ein Tanzkonzert im Zelt, Popsänger Cem Adrian trifft im Neujahrskonzert auf Pianist Fazil Say und David Bowie auf Anton Bruckner beim Festival Schall & Rausch. Überhaupt wird spannend zu hören, welche Akzente der neue Generalmusikdirektor James Gaffigan setzt, der in seiner ersten Spielzeit eine verhältnismäßig große Präsenz zeigt und bei der Spielplanvorstellung mit einem Grußwort aus Valencia zugeschaltet wurde.

Insgesamt also wirkt die Komische Oper gut aufgestellt für den großen Umzug. Jetzt muss nur noch das Schillertheater rechtzeitig fertigwerden.