Opernkritik: Erlösung am Giftsee

Opernkritik: Erlösung am Giftsee

Wagner meets Hightech: Jay Scheib nimmt mit „Parsifal“ des Großmeisters Idee von Bayreuth als Laboratorium ernst: Beim großen „Bühnenweihfestspiel“ können Zuschauer:innen mit AR-Brille auf der Nase symbolträchtige Illustrationen erleben. Geht das Gesamtkunstwerk auf?

Wer hat eigentlich dieses Schlamassel angerichtet, Ausbeutung, Ungleichheit, Umweltzerstörung? „Ich bin’s, der all dies Elend schuf“, singt Parsifal im 3. Akt, und Andreas Schager bohrt einem in der Kobaltmine die Worte und Töne derart ins Ohr, dass man ahnt: Hier übernimmt einer Verantwortung. Und zwar nicht nur für das, was er selbst verbaut hat. Sondern gleich für die gesamte Menschheit.

Davor sah Jay Scheibs Inszenierung von Richard Wagners „Parsifal“ bei den Bayreuther Festspielen lange aus, als hätte man eine x-beliebige, eher statische Inszenierung von einst einfach nur neu angezogen. Parsifal, der reine Tor, marschiert in die Runde der Gralsritter, wird Zeuge eines merkwürdigen Rituals, stellt aber keine Fragen (was seine Aufgabe gewesen wäre). Stattdessen braucht er den Umweg über den Zauberer Klingsor, dem er den heiligen Speer abluchst, um damit am Ende die Dinge geradezubiegen.

Wagners „Bühnenweihfestspiel“ orientiert sich frei am mittelalterlichen „Parzival“-Epos, zelebriert zugleich quasireligiöse Erlösung und ähnelt streckenweise mehr einem durchkomponierten Gottesdienst als einer Oper. Scheib steckt die alte Geschichte in neue Gewänder, lässt aber zunächst Gral, Monstranz und Abendmahl wo sie sind, auch wenn See und Gralsburg bei Mimi Lien aussehen wie ein Wolkenkratzer am Pool; später steht ein Kobaltbagger am Giftsee. Und in Meetje Nielsens Kostümen wirken die Zaubermädchen, die Parsifal in Klingsors Garten um den Finger wickeln sollen, wie Manga-Hippies im psychodelisch aufgejazzten Paradies.

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