Opernkritik: Ausdruckstanz und Augenweide

Opernkritik: Ausdruckstanz und Augenweide

Mit Bernasconis Festa teatrale „L’Huomo“ zeigen die Musikfestspiele Potsdam Sanssouci ironisch augenzwinkernd barockes Rampentheater – in dem sich die (meisten) Sänger lustvoll ins Getümmel stürzen.

Dass Frauen die besseren Menschen sind, ließe sich schneller darlegen als in einer Barockoper. Aber vielleicht wusste Wilhelmine von Bayreuth, dass sie ihrem königlichen Bruder Friedrich bei seinem Besuch mehr bieten musste als Argumente, wenn sie seine Aufmerksamkeit fesseln wollte. Also schrieb sie mit „L’Homme“ ein französisches Textbuch, aus dem Luigi Maria Stampiglia ein italienisches Libretto machte, auf das Andrea Bernasconi 1754 die Festa teatrale „L’Huomo“ komponierte – der Mensch.

Nun hat diese Oper erneut das Licht der Öffentlichkeit erblickt. An der Bayreuther Universität gründlich erforscht, um Ballettmusiken aus Carl Heinrich Grauns „Armida“ ergänzt, kam „L’Huomo“ zunächst am Uraufführungsort heraus, dem Markgräflichen Opernhaus Bayreuth. Weitere Vorstellungen besorgten die koproduzierenden Musikfestspiele Potsdam Sanssouci, die alljährlich mit faszinierenden Musikern und ambitionierten Programmen zu Ausflügen in die arkadische Park- und Schlosslandschaft verführen. Auch hier fand sich mit dem (deutlich kleineren) Schlosstheater im Neuen Palais ein Ort mit historischer Aura.

Zu den vielen Werken unterm Festivalmotto „In Freundschaft“ gehörte – neben der aus Versailles übernommen Produktion „David et Jonathas“ – auch „L’Huomo“. Dieser titelgebende Mensch ist ein schwaches, verführbares Wesen. Jedenfalls, wenn es sich um einen Mann handelt. Dazu entfacht Wilhelmine ein aufwendiges Spektakel um allegorische Figuren, zoroastrische Philosophie und eine Handlung, die so vorhersagbar wie happy-end-selig ist: Animia und Anemone verlieben sich ineinander, haben aber erst einmal keine Chance, weil böse Geister, Laster und Leidenschaften nicht wollen, dass zusammenkommt, was zusammengehört. Während Anemone (Prototyp Mann) sich in jede Falle locken lässt, die ihm gestellt wird (natürlich verliebt er sich in die nächstbeste), bleibt Animia standhaft und treu.

Liest man die Handlung, schwirrt einem schnell der Kopf: Welcher Geist ist jetzt auf wessen Seite? Doch wie so oft bei einer Barockoper, klärt sich die Verwirrung, wenn erst mal die Musik beginnt. Andrea Bernasconi (1706-1784) war Vize-Kapellmeister in München. Neben einem reichen kirchenmusikalischen Werk hat er knapp 20 Opern geschrieben. Sicher gehört er nicht zur damaligen Avantgarde. Aber innerhalb der neapolitanischen Schule, der Bernasconi entstammte, schuf er eine Festa teatrale, so reich an verzierten Melodien und einem kulinarisch sich auffächernden Orchesterklang, dass man sich gerne den lustvoll auskomponierten Affekten hingibt.

Zumal, wenn im Graben derartige Spezialisten sitzen wie das Ensemble 1700. Ihre Leiterin Dorothee Oberlinger hat sich längst neben der Blockflötenvirtuosen- auch eine Pult-Karriere aufgebaut. Man spürt, wie genau sie die Musik jener Zeit kennt, wie fein einzelne Stimmen phrasieren, wie lustvoll es schäumt! Manchmal würzt das Orchester auch nach, wenn etwa der Perkussionist zu Kastagnetten und Tamburin greift.

Diese verspielte Lust an der Form besitzt auch Nils Niemanns Inszenierung, die sich weitgehend an der Uraufführung orientiert: gestaffelte, zentralperspektivische Kulissen, die anmutig Natur nachahmen (und erhaltene Stiche kopieren), darüber Wolkensoffitten. Einmal rauscht die Vernunft in einem Wolkenwagen herab, und dass da keine Wundermaschine in Gang gesetzt wird (weil das die Bühnentechnik nicht hergibt), sondern der Wagen hinter zwei Kulissenteilen erscheint, erhöht eher den Charme der Inszenierung.

Aber natürlich wissen Regie und Ausstattung, dass eine reine Reproduktion weder möglich noch zielführend ist. Also hat Christoph Brech anstelle der Tiefenillusion im Fluchtpunkt Videobilder hinzugefügt, die mal ein wie Sterne funkelndes Gehirn, mal eine pulsierende Sonne, dann wieder eine bukolische Rokoko-Landschaft darstellen. Man kann das zoroastrisch deuten, wie Wilhelmines Text und das Programmheft es nahelegen, muss man aber auch nicht: Im Zweifel sieht’s gut aus.

Zumal davor die Sänger in den Kostümen von Ausstatter Johannes Ritter auftreten, die sich so herzliebst durch die Exotiklust der barocken Moden zitiert, dass es eine Augenweide ist. Dass sie sich dafür so bewegen, dass das Publikum im Wesentlichen ihre Vorderseite sieht (wie im Barock üblich), könnte albern wirken. Hier aber hat derartiges Rampentheater seine Stimmigkeit, zumal es ironisch zwinkert und den Menschen auf der Bühne beste Voraussetzungen fürs Singen liefert.

Am Eindrucksvollsten gelingt das Alice Lackner als Negiora, die Vernunft. Betörend sicher führt sie ihren Sopran, mit astralischen Höhen und Durchschlagskraft, dabei plastisch und äußerst delikat ausgestaltet. Wenn sie kunstvoll seufzt und weint, klingt das doch natürlich – auch in den Rezitativen. Mit denen fremdeln die anderen etwas, zum Beispiel Francesca Benitez, aber ihr rotglühender Sopran mit seinem feinen Vibrato erstürmt die wilden Koloraturen eindrucksvoll.

Eine ganze Weile müssen Animia und Anemone stumm auf der Bühne ausharren, während um sie die guten und bösen Geister streiten. Dann aber wirkt Maria Ladurners Sopran blitzwach, jagt mit seinem feinen Moussieren durch die halsbrecherischen Verzierungen, vertreibt später in einer Art Rachearie die flüchtige Liebe Simon Bodes. Im Kontrast zu Ladurner wirkt Philipp Mathmanns Anemone besonders schwachbrüstig. Sicher: An diesem Mann ist eh nichts dran, da passt es, dass er wie eine Puppe mit den Augen klappert und vokal kaum liefert. Vielleicht hatte Mathmann auch einfach nur einen schlechten Tag. Und doch ist es arg, wie fistelnd bei ihm die Bögen zerbröseln. Einmal ahnt man, wofür Mathmann berühmt ist: Da entfaltet seine Stimme eine cremige Honigsüße, die auch Oktavsprünge übersteht. Schon im nächsten Moment aber klingt sie wieder flach, gequält, springen einzelne Töne nicht an, rutschen andere offenbar ungewollt aus dem Counter- ins Baritonregister.

Zum Glück aber reißen das gerade auch die Nebenrollen wie die Volusia der Anna Herbst und die Incosia von Johanna Rosa Falkinger heraus, kleinere Stimmen, die aber prägnant zupacken. Auch Yves Ytier, Hendryk Voß, Thomas Feyerabend, Anastasia Krasnikova und Sophia Otto schaut man gerne zu, wie sie in ihren selbst entworfenen Choreografien barocke Schrittfolgen und Ausdruckstanz miteinander verschmelzen. Übrigens hat der Bayerische Rundfunk die Produktion mitgeschnitten – sie ist noch bis Ende des Jahres in der Mediathek abrufbar.