Theaterkritik: Kurzschluss der Machtfrauen
Mit Elfriede Jelineks Endlosmonologen, in denen sich Maria Stuart und Elisabeth I. aka Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin an die Gurgel gehen, macht Pınar Karabulut am Deutschen Theater Berlin kurzen Prozess. Der Schlagabtausch der RAF-Diven wird in ihrer Inszenierung zum Sinnbild für die kriselnde, zersplitternde Linke.
Wie das heult! Als seufzten die Toten unerlöst im Limbus um das, was sie nicht mehr beeinflussen können. Dabei tönen sie nicht nur verzerrt aus dem Off, sondern bevölkern auch die Bühne. Diese wirkt, als hätte Michela Flück die barocke Kulissenbühne mit einer KI-generierten Felsenoptik zu einer riesigen Höhle gemorpht, die sich über einem Friedhof wölbt. Zombies sind’s, Untote der Geschichte, die sich um ihr Vermächtnis sorgen, sich aber statt realistischer Aufarbeitung lieber gegenseitig an die Gurgel gehen. Genauer: Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin ringen hier als Widergängerinnen von Maria Stuart und Elisabeth I. um Macht und Deutungshoheit.
Elfriede Jelinek schrieb ihren Kurzschluss der Machtfrauen „Ulrike Maria Stuart“ als Abrechnung mit linken Selbstgewissheiten und Selbstüberschätzungen. Nicolas Stemanns Uraufführung 2006 blieb durch den Skandal um sprechende Vulven (Marlene Streeruwitz klagte) und mit Wasserbomben beworfene Polit-Pappkameraden als ziemlich heitere Kabarettrevue in Erinnerung; Jossi Wieler scheiterte in München nahezu zeitgleich ernsthafter an den Endlosmonologen.
Dass Pınar Karabuluts Inszenierung jetzt am Deutschen Theater Berlin nur eine gute Stunde dauert, besitzt eine eigene Pointe. Denn sie macht kurzen Prozess, mit den zu Pop-Pin-ups verkommenen Terroristinnen, aber auch mit Jelineks ausufernden Suaden. Es bleiben nur einige der 80 eng bedruckten Seiten – der Kernkonflikt der beiden Königinnen, das Ringen um ihr Vermächtnis, dazu Sätze, die klingen wie von heute. Dass Karabulut für „Ulrike Maria Stuart“ die Geisterstunde ausruft, wirkt angesichts der Verhaftung der ehemaligen RAF-Angehörigen Daniela Klette vorgestern hellsichtig, die Polizeiaktion selbst wie ein coup de téâtre.