Kolumne: Mein Ja-Wort in Rio

Kolumne: Mein Ja-Wort in Rio

Queer Royal – Georg Kasch über das intimste Theaterereignis seines Lebens

Schöne Grüße aus dem Urlaub! Ist allerdings auch ein bisschen langweilig hier. Wenn man bei bleierner Hitze am Ende der Welt sitzt und nichts entfernter sein könnte als Theater und queeres Leben, fängt man an beides zu vermissen. Hier in Monsenhor Tabosa im Nordosten Brasiliens ist das nächste Theater jedenfalls sechs Autostunden entfernt, und der Wochenend-Höhepunkt der Menschen vor dem Kinderkriegen besteht im Mopedfahren, Rumhängen, billigen Forró hören und saufen. Nichts gegen Forró und einen frischen Caipi, und, ja, ich genieße meine Sommerpause. Aber Falk Schreiber hat schon recht: Gerade Kleinstädte brauchen das Stadttheater, um ein Fenster in Gegenwelten zu öffnen.

Ich zum Beispiel habe als Mecklenburger Dorfjunge (wo sich die Jugendbeschäftigung nicht grundsätzlich von der in der brasilianischen Kleinstadt unterscheidet) dank meines Schweriner Theaterabonnements zwischen 1989 und 1999 den ersten nackten Mann auf einer Bühne gesehen (am Ende einer „Don Juan“-Inszenierung). Die ersten Fotos nackter Schwänze (im Programmheft zu Michael Jurgons „Othello“ 1993, tolle Mapplethorpe-Abzüge). Den ersten schwulen Kuss (ziemlich verdruckst zwar in Brechts „Mann ist Mann“, aber etliche schönere sollten folgen). So was gibt’s hier, am gefühlten Ende der Welt, nur in Telenovelas. Jeder weiß, dass das halbe Kollegium der Schule schwul ist. Es redet nur niemand drüber. Alle anderen sind auf und davon. Dennoch wird auch hier Theater gespielt, Quadrilhas am Johannestag: Da stellen Kinder eine Hochzeit nach, die kurz vor dem Ja-Wort platzt, weil plötzlich die schwangere Geliebte des Bräutigams aufkreuzt. Der Rest ist Tanzen.

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