Opernkritik: Die teuflische Primadonna
Lange bejubelte Premiere: Sopranistin Anna Netrebko ist als Lady Macbeth der Star in der düsteren Neuinszenierung von Harry Kupfer an der Staatsoper in Berlin
Die Schlafwandelszene also. Während im Graben die Streicher ihre charakteristische Aufwärtsbewegung trippeln wie ein müde-verrücktes Tänzchen und das Englischhorn klagend antwortet, schreitet Anna Netrebko als Lady Macbeth im weißen Nachthemd über die Bühne, mit einer Kerze in der Hand; Arzt und Zofe beobachten sie erschreckt aus der Distanz. Unter ihrem offenen Haar stieren die Augen ins Leere, sie setzt die Kerze ab, beginnt, ihre Hände aneinanderzureiben: Blut! Jetzt öffnen sich die Tiefen ihrer schweren Stimme, Nachtschwärze tropft heraus. Jeder Ton dieses Schuldeingeständnisses der Lady wirkt, als trage sie eine schwere Last, ein weiblicher Sisyphos. Nur ihr hohes Des klingt nadelspitz und klar, ein verzweifelter Seelenriss in der Düsternis der Szene.
Netrebko macht Theater für die Ohren – sie packt, was in der Rolle steckt, in ihre Stimme. Was einerseits über weite Strecken äußerst beeindruckend klingt. Und andererseits darüber hinwegtröstet, dass es an der Berliner Staatsoper nicht viel zu sehen gibt. „Macbeth“ nach William Shakespeare ist ja ein Meilenstein in Giuseppe Verdis Schaffen, weil er darin erstmals die Konventionen links liegen ließ und geradewegs zum Kern des Dramas vorstieß: Macbeth wird von Hexen die Königskrone prophezeit, seine Lady kann’s nicht erwarten und drängt ihn zum Mord. Als Herrscher aber ist er vor allem damit beschäftigt, andere aus dem Weg zu räumen – bis Gewissensbisse und Macduff ihn besiegen.
Man kann diese Oper als Parabel auf Machtgier und moralische Standards in der Politik erzählen. Man kann sie aber auch so harmlos arrangieren wie Harry Kupfer. Schon mit dem „Fidelio“ in der vergangenen Saison hatte er sein Lebenswerk, das er vor allem an der Komischen Oper, aber eben auch hier zusammen mit Daniel Barenboim schuf (man denke an all die Wagner-Inszenierungen), eine eher merkwürdige Fußnote hinzugefügt. Dieser „Macbeth“ allerdings ist nur noch handwerkliche Routine: Yan Tax‘ Kostüme erinnern in den Staatsszenen an den italienischen Faschismus, zeigen ansonsten die Hexen als arme Frauen, die Soldatenleichen fleddern.
Besonders schlimm sind Thomas Reimers Videoprojektionen: All die mittelalterlichen Ruinen, die schräg in die düster vorbeiziehenden Wolken ragen, all die brennenden Trümmer, die qualmen, als hätte man da eine Ölquelle erwischt, wirken, als hätte sie jemand mit einem uralten Computerprogramm zusammengeflickt. Hans Schavernochs Bühne gleicht einer Zeitreise in die 80er- und 90er-Jahre: Der Boden ist in den Außenszenen zerfurcht, als zeuge er von untergegangenen Kulturen. Wenn aber die riesige Hebebühne Macbeths Palast ins Bild schiebt, stehen weiße Ledermöbel zwischen glattem Pseudomarmor herum, während hinten eine merkwürdige Schranke den Raum trennt.
Immerhin sind Sessel und Sofa prima Turngeräte für Netrebko, die hier zunächst im engen Hosenanzug die teuflische Primadonna gibt, später im grünen Schulterfreien die Gäste empfängt und mit ihrem schwächelnden Gatten keift. Der ist beim mittlerweile 77-jährigen Plácido Domingo ein ziemlich statischer Feldherr, dem man jederzeit anhört, dass er mal einer der größten Tenöre überhaupt war – er weiß, wie man Verdi singt. Nur nicht immer, was genau – die Souffleuse leistet Schwerstarbeit. Für einen Bariton fehlt es ihm an warmer Tiefe, und wo er in der Höhe immer noch erstaunlich mühelos strahlt, wären bei dieser Rolle eigentlich Enge und Fahlheit angebracht. Oft muss er nachstützen. Dass Domingo am Ende so ausgiebig bejubelt wurde, ist natürlich auch eine Würdigung seines Lebenswerks – und das wird durch seine Altersrollen nicht geschmälert.
Auch Kwangchul Youn hat seine besten Zeiten hinter sich, als Banquo aber immer noch ein beeindruckend kerniges Timbre. Fabio Sartori zeigt als Macduff den Glanz und Schmelz eines italienischen Prachttenors, schreitet dabei aber ebenso unbeeindruckt von Sinn und Zweck dieses Abends über die Bühne wie die meisten anderen Sänger. Auch der Chor, der gerade zu Beginn arg viel Vibrato besitzt und lange Zeit Abstimmungsschwierigkeiten hat – das klappert! – , wirkt szenisch blass. Startschwierigkeit hat auch die Staatskapelle unter Daniel Barenboim, findet dann aber erstaunlich viele Zwischentöne. Selten flirrt und peitscht sie auf Hysterieniveau, legt stattdessen die Schichten klar aufeinander, arbeitet die rhythmischen Verschiebungen heraus, mit denen Verdi illustriert, wie die Welt aus den Fugen gerät. Und schlägt schöne, sängerfreundliche Bögen.
Netrebko zumindest hätte sie nicht nötig, denn ihre Stimme trägt auch in der – immer noch – schwierigen Staatsopernakustik mühelos. Manchmal will sie sogar zu viel, beginnt ihre Stimme zu pressen. Dabei sind es gerade die Piano-Inseln, die einen berühren. Auch wenn dieser neue „Macbeth“ einen sonst ziemlich kaltlässt – hier lodert sie, die Kraft der Oper. Am Ende gibt’s dafür langen, stehenden Jubel.