Opernkritik: Komische Oper mit gutem Riecher

Opernkritik: Komische Oper mit gutem Riecher

Über Kontinente hinweg: Für die Inszenierung von Schostakowitschs „Nase“ kooperierten Bühnen von Sydney, London, Madrid und Berlin

Diese Nase läuft nicht nur, sie tanzt. Eben noch bummelte sie über die Bühne wie ein Schulkind, plötzlich lässt sie sich von Kollegen mitreißen, ein höllischer Stepptanz, als säßen wir am Broadway und nicht in der Komischen Oper: oben riesige Nasen, unten Beine. Das stampft und klackt und dröhnt – eine ratternde, rasende Maschine.

Als „eine riesige Lokomotive“ beschreibt denn auch Regisseur Barrie Kosky „Die Nase“, jene erste Oper des 21-jährigen Dmitri Schostakowitsch, uraufgeführt 1930, in der er seine ganze kompositorische Brillanz funkeln lässt. Zwischen Trommelkaskaden und spätromantischen Streicherinseln zucken die musikalischen Bilder wie Albträume – singende Säge, Balalaika und Trillerpfeife inklusive. Immer wieder reißen wilde, vertrackte Rhythmen die Macht an sich, und es ist Ainārs Rubiķis und dem Orchester der Komischen Oper zu verdanken, dass die Sache nicht in die Luft fliegt. Rubiķis leitet das Ensemble ab nächster Spielzeit – sein packendes Dirigat ist ein Versprechen.

Wie später Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ fand auch „Die Nase“ keinen Anklang bei der sowjetischen Staatsführung, verschwand bald vom Spielplan. Man spürt heute noch, was damals so beunruhigte. Da ist zum einen die Musik, die sich in keine Schublade packen lässt: orthodoxe Chöre, futuristisches Drängen, Volkslieder, Großstadtgewimmel, Falsettgekeife. Zum anderen die Geschichte frei nach Nikolai Gogol: Kowaljow vermisst eines Morgens seine Nase. Als er sie findet, weigert sie sich, in sein Gesicht zurückzukehren. Am Ende ist sie plötzlich wieder da. Ein Albtraum? Eine Parabel? Ziemlich surreal jedenfalls – und kaum zu packen. Peter Mussbachs Versuch 2002 an der Staatsoper produzierte keine bleibenden Bilder.

Ganz anders Kosky, dessen Inszenierung nach der London-Premiere 2016 und einer Zwischenstation in Sydney jetzt in Berlin gelandet ist. Wie schon in Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ knackt er ein Meisterwerk des 20. Jahrhunderts, das zwar in Kopf und Beine, aber nur bedingt ans Herz geht, indem er kafkaeske Bilder – radelnde Tische, explodierende Folklore, tanzende Nasen in allen Größen -, Showbiz, Marx-Brother-Humor und eine genaue Charakterstudie zusammenzwingt. Denn Günter Papendell, der als Nasen-Verlierer Kowaljow die einzig nennenswerte Rolle hat, singt seine elegischen Verzweiflungsbögen so innig, dass man Mitleid aufbringt für diesen Typen, der doch nur Rädchen im absurden Gesellschaftsgetriebe ist.

Das besteht aus 77 Nebenrollen, die Kosky schrill zuspitzt – und sie (wie auch den hervorragenden Chor) mit einem ordentlichen Zinken versieht, sodass Papendell mit seiner rot bemalten Clownsnase tatsächlich wirkt, als hätte er keine. Vor allem aber sind es Otto Pichlers fantastische Tänzer, die diese „Nase“ unvergesslich machen: als frühlingsopfernder Hexensabbat, als bärtige Go-go-Girls, als Nasenballett im Albtraumrausch.