Opernkritik: Kein Schwan wird kommen

Opernkritik: Kein Schwan wird kommen

„Lohengrin“ – Bei den Bayreuther Festspielen erzählen Yuval Sharon, Neo Rauch und Rosa Loy Richard Wagners Oper als Geschichte einer weiblichen Emanzipation

Blau ist die Farbe der Dämmerung, des Traums – und von Richard Wagners „Lohengrin“-Musik. Letzteres behauptete einst Friedrich Nietzsche, und unabhängig davon haben es auch die Maler Neo Rauch und Rosa Loy empfunden. Entsprechend blau ist ihre ziemlich monochrome Bilderwelt auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses: Dichte Wolken hängen schwer am Rundhorizont, unten bauscht sich das Gras, Bäume stehen als zweidimensionale bemalte Aufsteller herum. Eine Landschaft irgendwo zwischen flämischer Malerei und Arnold Böcklins „Die Toteninsel“. Hier wimmeln Frau Antjes mit lustigen Hauben und Van-Dyck-Charaktere mit fantasievoll verfremdeten weißen Krägen. Das Führungspersonal ist mit Insektenflügeln ausgestattet.

In der Mitte steht eine Transformatorenstation – und Lohengrin ist der, der hier die Energie reinpumpen wird. Nicht nur im übertragenen Sinn: Wenn er mit seinem ufo-ähnlichen Schwan und seiner Arbeitermontur landet, dann beginnen die Drähte zu glühen. „Lohengrin“ ist zwar vordergründig ein Märchen, aber – 1850 uraufgeführt – ein Kind der frühen Industrialisierung, des Vormärz und Wagners revolutionärer Verstrickungen darin.

Fürstentochter und Landes-Erbin Elsa wird von den Fieslingen Telramund und Ortrud angeklagt, schuld am Tod ihres Bruders zu sein. Sie steht schon mit einem Bein auf dem Scheiterhaufen, als der ihr bereits im Traum erschienene Lohengrin auftaucht, sie verteidigen und heiraten will – unter der Bedingung, ihn nie nach Namen und Herkunft zu fragen.

Natürlich geht das schief. Bei Wagner, weil Elsa letztlich eine schwache, imperfekte Frau ist, die den Revolutionär von oben nicht würdigen kann. Bei Regisseur Yuval Sharon, weil Elsa sich allmählich von Lohengrin emanzipiert und von der Machtpolitikerin Ortrud zu zweifeln lernt (das Programmbuch zitiert entsprechend Brecht). Lässt sich Elsa am Ende des zweiten Akts noch nach einigem Zögern von Lohengrin in eine Position drücken, aus der sie zu ihm aufschauen muss (was an ein Foto von Wagner und seiner Frau Cosima erinnert), dominiert sie am Ende aufrecht im zum Blau komplementären Orange die Bühne, während Lohengrin zusammenbricht und am Boden von seiner Herkunft erzählt.

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